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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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Räume.
    Olsen zog beiläufig einen Stuhl vom Tisch weg und Linus wusste, dass er sich setzen sollte. Also setzte er sich. Olsen ging an den Kühlschrank, holte wortlos Milch heraus und erhitzte sie auf dem Gasherd.
    Linus schaute sich um. Die Wände der Küche waren mit Regalen vollgestellt, in denen unzählige Bücher standen. Im Dämmerlicht konnte Linus die Titel der Bücher nicht erkennen, aber Format und die Breite der Buchrücken ließen nicht gerade auf Romane schließen. An der Tür stand Timbers Fressnapf und eine Wasserschale. Dahinter lehnte ein Baseballschläger an der Wand. Auf dem Fensterbrett lag eine moderne Kamera.
    Nachdem die Milch warm war, gab Olsen einen Löffel einer zähen Masse hinein und rührte um. Dann goss er das Ganze in ein Glas und stellte es vor Linus hin. Linus war klar, dass er das trinken sollte. Was hatte der Blötschkopp da reingerührt? Linus traute sich nicht zu fragen. Er setzte das Glas an den Mund.
    „Stopp!“, unterbrach ihn Olsen. Linus ließ das Glas sinken.
    Olsen fixierte ihn. „Du kennst mich nicht. Du hast gesehen, dass ich etwas in deine Milch gerührt habe. Und du trinkst es, ohne zu fragen?“
    „Ich dachte, ich kann Ihnen vertrauen“, sagte Linus und hielt dem Blick stand. Das war eine Antwort, mit der Olsen nicht gerechnet hatte. Er  atmete tief ein, wollte etwas sagen, tat es nicht, sondern fixierte Linus weiter mit seinem Blick.
    „Ich kenne dich“, sagte er schließlich. „Und Timber kennt dich.“
    Linus nickte und lächelte. Timber saß an seiner Seite und hatte den Kopf auf sein Knie gelegt.
    „Er hat sich mal im Zaun verfangen. Da hab ich ...“
    „Ich weiß“, unterbrach ihn Olsen. „Wo warst du so lange?“
    Linus schaute auf das Glas Milch, das er immer noch zwischen seinen Händen hielt. Er entschloss sich zu trinken, bevor er antwortete. Also nahm er einen Schluck. Olsen sah ihm zu, diesmal ohne ihn zu unterbrechen. Linus trank und lächelte. Diese Milch war so samtig, so weich. Sie tat ihm gut.
    „Was ist da drin?“, fragte er jetzt.
    „Ist Milch vom Yak“, sagte Olsen. „Viel gesünder als von Kühen. Und besser.“
    „Und was noch?“
    „Ein Sirup. Aus einer asiatischen Pflanze.“ Lächelte der Mann jetzt oder täuschte sich Linus? „Macht glücklich.“
    Linus trank das Glas aus. Wartete. Sie schwiegen. Und das war gar nicht peinlich.
    „Wo warst du?“ Olsen hatte seine Frage nicht vergessen. Linus überlegte, was er sagen sollte. Und während er noch überlegte, hörte er sich reden.
    „Die Leute haben Angst vor Ihnen.“
    Olsen runzelte die Stirn. Und die Falten auf der linken Seite seines Kopfes verschwanden in der Delle.
    „Und du, hast du auch Angst vor mir?“, fragte Olsen.
    „Sie haben diese ...“
    „Diesen Blötschkopp!“
    „Ja ...“
    „Macht er dir Angst?“
    „’n Hut wär gut“, sagte Linus.
    Olsen lachte. Er verließ seinen Platz, kam zu Linus herüber und hielt ihm seinen Kopf hin. „Wenn du anfassen willst ...“
    Linus zögerte.
    „Nur Mut. Fehlt nur ein Stück Schädel. Da ist unter der Haut gleich das Gehirn. Kannst es fühlen ...“
    Linus fuhr vorsichtig mit seinem Zeigefinger über die Schädelhaut.
    „Und, was denke ich gerade?“, fragte Olsen und packte Linus’ Handgelenk, damit er seine Hand nicht zurückziehen konnte. „Na los! Spürst du es?“
    „Wie soll ich das wissen?“, fragte Linus.
    Olsen ließ ihn los und ging zu seinem Stuhl zurück.
    „Ja, wie sollst du das wissen ... ‚Die Gedanken sind frei’, nicht wahr?“
    „Na ja ...“, sagte Linus unsicher.
    „Bullshit!“, sagte Olsen scharf. Er summte die Melodie dieses Liedes und sah versonnen vor sich hin. Dann lachte er kurz und zynisch auf, als wäre er aus einer schlimmen Erinnerung wieder in die Realität zurückgekehrt. Er sah Linus an. „Also. Wo warst du das letzte Jahr über?“
    Linus wusste, dass er ihm nicht auskam. Also erzählte er, was passiert war. Vom Verschwinden der Eltern, seiner neuen Familie. Die Episode in Berlin wollte er nur kurz streifen. Er erzählte von der Einladung in das Camp und dass er vor zwei Tagen zurückgekehrt war. Mehr nicht.
    „Du warst in Berlin und hast nicht nach deinen Eltern gesucht?“, fragte Olsen. „Das nehm ich dir nicht ab.“
    Linus schaute ihn überrascht an.
    „Die U-Bahn!“, sagte Olsen. „Du bist doch bestimmt in das Tunnelsystem hinuntergestiegen.“
    Linus wurde es mulmig in der Gegenwart dieses Mannes. Er konnte ihm nichts vormachen, nichts vorenthalten.

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