Abbau Ost
entgegnete Joachim Mitdank, »ich habe Sie als junge Sanitäterin gesehen.«
»Wo und wann haben Sie mich denn gesehen?«
»Vor einigen Tagen, in einem Dokumentarfilm des britischen Fernsehens.«
Die Queen lachte. Sie wünschte dem Botschafter viel Erfolg bei seiner Arbeit und bat zum Abschied, ihr doch seine Frau und
die leitenden Diplomaten der ostdeutschen Botschaft vorzustellen.
Der Tag hätte für den Diplomaten kaum besser verlaufen können. Am Abend folgten er mit seiner Frau einer Einladung in die
Marx Memorial Library im Londoner Stadtteil Soho, als Gäste zum »Dinner to celebrate the birth of Karl Marx, 5th May 1818«.
Drei Tage zuvor, am 2. Mai 1989, waren die Bilder um die Welt gegangen, wie die ungarische Regierung den Eisernen Vorhang
symbolisch durchtrennen ließ und die Grenze zu Österreich öffnete. Eine Weltordnung geriet ins Wanken, und wer dies, wie Joachim
Mitdank, als Botschafter der DDR in London erlebte, dem erschienen die Ereignisse auf dem Festland irgendwie abwegig, weit
weg vom gewohnten britischen Lebensfluss. »Wichtig war«, schrieb er 15 Jahre später in ›Berlin zwischen Ost und West – Erinnerungen
eines Diplomaten‹, Berlin 2004, »dass die Mitarbeiter der Botschaft die Nerven behielten und ihre Würde als DDR-Diplomaten
bewahrten.« Schon bei seiner Antrittsvisite konfrontierte ihn der damalige britische Außenminister, Sir Geoffrey Howe, sonst
ein jegliche Schärfen und unnötige Zuspitzungen vermeidender Diplomat, mit der Frage: »Wie lange will die DDR noch an der
Mauer in Berlin festhalten? Wie lange soll dort noch geschossen werden?« Am Vortag hatten die Medien erneut Zusammenstöße |283| und Schießereien in Nordirland gemeldet, die Zahl der Toten war inzwischen auf 3000 angestiegen. Joachim Mitdank vermied derartige
Anspielungen. »Außerordentlich überrascht war ich allerdings, als ich während einer Veranstaltung am 9. Mai, dem sowjetischen
Tag des Sieges, in der Handelsvertretung der UdSSR ebenfalls mit der Mauer-Frage konfrontiert wurde.«
Am Abend und in der Nacht des 9. November war die Pressekonferenz in Berlin und die Maueröffnung das wichtigste Thema im britischen
Fernsehen. Kurz darauf unterbreitete die BBC Joachim Mitdank den Vorschlag, gemeinsam mit dem westdeutschen Botschafter Hermann
von Richthofen vor laufender Kamera eine »Mauertorte« anzuschneiden. Die Redaktion bot ihm ein üppiges Honorar an. Mitdank
lehnte ab. Ob er denn, fragte ihn der Redakteur, mit der Mauer einverstanden gewesen sei? Natürlich, entgegnete der Botschafter,
sie war notwendig. Ob dies denn uneingeschränkt gelte, wollte der Redakteur wissen? »Nein«, entgegnete Joachim Mitdank, »die
Schließung der Grenze der DDR zu Westberlin hätte einige Jahre eher erfolgen müssen!«
In der Zeit vom 22. bis 24. Januar 1990 besuchte der neue britische Außenminister Douglas Hurd die DDR. Er landete mit einem
Mitarbeiterstab in Ostberlin, sprach mit Ministerpräsident Hans Modrow, mit Manfred Gerlach, dem Vorsitzenden des Staatsrates,
und traf sich anschließend zu einer längeren Unterredung mit Außenhandelsminister Gerhard Beil. Joachim Mitdank begleitete
Douglas Hurd auf seiner Reise, die ihn auch nach Leipzig führte. Bei einem Besuch der Karl-Marx-Universität, der Außenminister
hatte ausdrücklich darum gebeten, führte er eine einstündige Diskussion mit den Studenten des Anglistik-Instituts, und war
offenbar beeindruckt, dass die Studenten in bestem Englisch sehr wohl für grundlegende Veränderungen, ansonsten aber für das
Fortbestehen der DDR als eigenständigem Staat plädierten. Am letzten Tag seines DDR-Besuchs, wieder in Ostberlin, bat der
britische Außenminister Joachim Mitdank, ihn bei einem Spaziergang zum Brandenburger Tor zu begleiten. Seit vier Wochen stand
es Fußgängern offen. »Wissen Sie«, sagte Hurd, »über das System von Jalta ist viel geschrieben und gesprochen worden. Feststehen
dürfte, |284| dass wir unter diesem System 40 Jahre recht friedlich und auch glücklich gelebt haben. Jetzt müssen wir sehen, was kommt.«
Am 26. Januar 1990, zwei Tage nach dem DDR-Besuch ihres Außenministers, äußerte Margaret Thatcher in einem Interview mit dem
›Wall Street Journal‹, die Regierung Kohl solle »ihre engen nationalen Ziele den langfristigen Bedürfnissen Europas unterordnen«.
Diese »weitsichtige Vision« müsse man der Bundesregierung »eintrichtern«. Die deutsche Einheit, fürchtete die
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