Abbau Ost
das sage,
schaue ich niemanden speziell an –, dass diese Wahlentscheidung
gleich ein wenig als eine Entscheidung in Richtung Banane, also
etwas Materiellem, gedeutet wurde. Ich glaube, dass das in dieser
Situation nicht fair war. Nach 40 Jahren DDR konnte es im Grunde
genommen in der Bevölkerung kein wirkliches Selbstbewusstsein
geben. Helmut Kohl bediente natürlich von seiner ganzen Statur
her und von der Art, wie er auftrat, eine Haltung gemäß dem
Motto: Ich mache das schon für euch.
Gregor Gysi zum 10-jährigen Jubiläum der ersten freien Volkskammerwahl der DDR, am 17. März 2000 im Bundestag
Am 5. April trat die letzte Volkskammer zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen und löste sich sechs Monate später, am
2. Oktober, wieder auf. Am 12. April wählte die Mehrheit der 409 Abgeordneten Lothar de Maizière (CDU) zum letzten Ministerpräsidenten
der DDR. Am 24. April vereinbarten Lothar de Maizière und Helmut Kohl die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts und Sozialunion,
und am 18. Mai wurde der Vertrag von beiden deutschen Finanzministern, Theo Waigel und Walter Romberg, im Bonner Palais Schaumburg
unterzeichnet. Helmut Kohl, der zusammen mit Lothar de Maizière hinter den Unterzeichnenden stand, sprach von der »Geburtsstunde
des freien und einigen |287| Deutschland«. Lothar de Maizière wandte sich nach der Unterzeichnung »zunächst an die Bürgerinnen und Bürger der DDR«. Er
sprach von einer »großzügigen Geste der Bundesrepublik Deutschland«. Nicht alle Blütenträume seien mit diesem Staatsvertrag
in Erfüllung gegangen, »aber niemand wird es schlechter gehen. Im Gegenteil: Welches Land in Osteuropa bekommt schon so gute
Startchancen wie wir mit diesem Vertrag«. Am 1. Juli trat der Staatsvertrag in Kraft, fortan ersetzte die D-Mark die DDR-Mark
und die westdeutsche Rechts- und Sozialordnung die Gesetze der DDR. Die Volkskammer, das gesetzgebende Organ der DDR, fügte
sich nun zwangsläufig in eine durch sie selbst, durch den Staatsvertrag herbeigeführte Gesetzeslage, die sich vom Altbekannten
grundlegend unterschied und für die Abgeordneten, wie im Übrigen die gesamte DDR-Bevölkerung, vollkommen neu war. Fortan war
die Volkskammer nicht nur ein Anhängsel der westdeutschen Verwaltung und Außenstelle des Bonner Bundestages, die Abgeordneten
mussten sich auch noch als »Laienspieler« verspotten lassen.
Am 6. Juli, fünf Tage nach der Währungsumstellung, begannen die Verhandlungen zum »Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands«. Am 2. August 1990 einigten sich
der westdeutsche Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der ostdeutsche Staatssekretär Günther Krause auf den Entwurf des
knapp 1000 Seiten umfassenden Einigungsvertrages. Das Gesetzeswerk regelte die Detailfragen zum Beitritt und zur Auflösung
der DDR. Meinungsverschiedenheiten löste die Frage aus, wie der letzte noch offene Vereinigungsschritt vollzogen werden konnte,
für den Westdeutschland zwei Möglichkeiten zur Wahl stellte. Nach Artikel 146 sollte das Grundgesetz an dem Tage seine Gültigkeit
verlieren, »an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist«.
Ein Teil der Volkskammerabgeordneten favorisierte die Vereinigung im Zuge einer neuen, gesamtdeutschen Verfassung, und auch
in Westdeutschland gab es große Hoffnungen auf eine Verfassungsdiskussion und eine grundlegende |288| Überarbeitung des in die Jahre gekommenen, in vielen Punkten erneuerungswürdig gewordenen Grundgesetzes. Die zweite Möglichkeit
war in Artikel 23 beschrieben. »Dieses Grundgesetz«, hieß es dort, »gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen,
Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und
Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.« Eine Vorentscheidung
fiel, als die Volkskammer am 22. Juli das sogenannte Ländereinführungsgesetz verabschiedete, bei dessen Inkrafttreten die
14 Verwaltungsbezirke der DDR (ohne Ostberlin) in die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt
und Thüringen umgewandelt werden sollten. In einer Sondersitzung in der Nacht vom 23. auf den 24. August beschloss die Volkskammer
dann tatsächlich den Beitritt
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