Abbau Ost
selbst auf lokaler Ebene ließe sich die Ordnung kaum noch aufrechterhalten. Helmut Kohl wertete
diese Äußerungen als Eingeständnis des Scheiterns. Fortan sah sich der Bundeskanzler aufgefordert, aus der Deckung hervorzutreten
und die Wiedervereinigung offensiv voranzutreiben.
Hans Modrow hatte allerdings einen ganz anderen Eindruck von der Begegnung in Davos. In seinen 1998 in Berlin erschienenen
Erinnerungen ›Ich wollte ein neues Deutschland‹ stand in Davos keineswegs das Gespräch mit Helmut Kohl im Vordergrund, Modrow
wollte auf dem Weltwirtschaftsforum die japanische Wirtschaft für Kapitalbeteiligungen an der DDR gewinnen. Dagegen hatte
die Begegnung mit Helmut Kohl für ihn »einen recht persönlichen Charakter, Frau Kohl versorgte uns mit einem kleinen Büfett.
Die Kohls behandelten mich so nett und aufmerksam, als wenn ich schon zehnmal in dieser Familie zu Hause gewesen |276| wäre. Der Kanzler zeigte sich zwar interessiert, machte Andeutungen, ohne jedoch ein Konzept für weitere Schritte in den Beziehungen
zwischen der BRD und der DDR erkennen zu lassen. Ich unterrichtete Kohl über die Bildung der Regierung der Nationalen Verantwortung,
deren neue Minister am 5. Februar von der Volkskammer bestätigt werden sollten. Ich erläuterte die damit verbundenen Überlegungen
und Schritte zur weiteren Stabilisierung der Lage und zur Vorbereitung der Wahlen am 18. März. Der Kanzler betonte seine engen
Kontakte zu Gorbatschow und zur Regierung der USA in allen Fragen und ließ erkennen, dass er sich in Kürze mit Gorbatschow
in Moskau treffen werde. Zur Lage in der DDR sagte Kohl, es solle nichts geschehen, was destabilisierend wirken könne. Aber
gerade das geschah zu diesem Zeitpunkt. So nahmen die Abkäufe durch BRD-Bürger einen größeren Umfang an. Außerdem machte sich
eine starke Rechtsunsicherheit in der DDR breit, da Bürger der BRD Anspruch auf Eigentum, besonders auf Bodenreformland, erhoben.
Ich unterstrich deshalb in meinen Darlegungen auch den Vertrauensschwund in der Bevölkerung der DDR hinsichtlich des nach
wie vor ausstehenden Solidarbeitrags der Bundesregierung, von dem der Kanzler in Dresden gesprochen hatte. Helmut Kohl betonte,
man müsse ungeachtet wahltaktischen Verhaltens nach einem Weg suchen, die DDR zu unterstützen. Es sollten sich dazu von beiden
Seiten ›unorthodoxe Denker‹ zusammensetzen. Nach dem 5. Februar wurden der Präsident der Deutschen Außenhandelsbank AG, Werner
Polze, die stellvertretende Finanzministerin Herta König und mein persönlicher Mitarbeiter Karl-Heinz Arnold von unserer Seite
benannt, nur getroffen haben sie sich mit irgendwelchen BRD-Partnern nie.«
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|277| Der kohlsche Umtauschkurs
Auf Seiten der Bundesregierung reichten ja die Vorüberlegungen
zur Währungsunion bis in den Dezember 1989 zurück. Der damalige
Finanzminister Waigel ließ bereits im Januar eine Vertragsskizze
ausarbeiten, die dann schon bei den Gesprächen mit der
Regierung Modrow im Februar/März 1990 bei der westdeutschen
Seite – wie man heute weiß – im Hintergrund stand.
Walter Romberg (SPD), von März bis August 1990 Finanzminister der letzten DDR-Regierung, in einem Interview des ›Freitag‹
zum 10-jährigen Jubiläum der Wirtschafts- und Währungsunion, am 30. Juni 2000
Statt, wie zwei Tage zuvor mit Hans Modrow besprochen, »unorthodoxe Denker« an einen Tisch zu setzen, schmiedete Helmut Kohl
am 5. Februar 1990 ein konservatives Parteienbündnis. Unter seiner Aufsicht schlossen sich in der DDR drei konservative Parteien,
die ostdeutsche CDU, der Demokratische Aufbruch und die Deutsche Soziale Union (DSU) zum Wahlbündnis »Allianz für Deutschland«
zusammen. Das Drei-Parteien-Bündnis wählte Lothar de Maizière (CDU) zu ihrem Spitzenkandidaten. Bundeskanzler Helmut Kohl
bekannte sich ausdrücklich zur »Allianz für Deutschland«. Trotzdem sah es für die Konservativen zunächst gar nicht gut aus.
Die gerade in der DDR neu gegründete Sozialdemokratische Partei lag in den Meinungsumfragen Anfang Februar mit einem Stimmenanteil
von 54 Prozent deutlich vorn. Für die SED-Nachfolgepartei PDS sprachen sich 12 und für die CDU anfangs nur 11 Prozent der
Befragten aus. Das Blatt wendete sich, als Helmut Kohl der DDR-Regierung am 6. Februar 1990 offiziell Gespräche zur Einführung
der D-Mark anbot. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bundeskanzler im eigenen Land nur wenig Rückendeckung für eine derart
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