Abbau Ost
aussagen. Es ist alles so peinlich, all die schmutzige Wäsche, die hier in Anwesenheit
von Journalisten gewaschen wird. Im Grunde ist das nicht sein Leben, über das hier verhandelt wird. Er hat gerade eine neue
Frau kennen gelernt, sie arbeitet im Finanzamt und kennt sich aus mit Steuerdingen. Die Staatsanwaltschaft hat vier Jahre
und neun Monate Haft beantragt. Nach deren Ansicht soll er sechs Millionen Euro veruntreut haben. Die Bayerische Landesbank
hatte ihm den Kredit für Bautätigkeiten seiner Firma gewährt, dieses Geld soll er bei zweifelhaften Finanzgeschäften in der
Schweiz aufs Spiel gesetzt und verloren haben. Und dann soll er angeblich die Bank betrogen haben, weil er mit seinem Privatvermögen
für die Schulden seiner Firma gebürgt und diese Bürgschaft, als die Firma in Not geriet, nicht eingelöst hatte. Und schließlich
soll er, das war angeblich 1994 und im Jahr darauf, dem |291| Finanzamt gegenüber zu geringe Einnahmen angegeben haben, was das Gericht als »versuchte Steuerhinterziehung in zwei Fällen«
bewertet. Das alles liegt schon Jahre zurück. Inzwischen wurde sein Privatvermögen und das seiner geschiedenen Frau, ein riesiges
Grundstück samt Reetdachvilla und eines zweiten Büro- und Gästehauses in Börgerende an der Ostsee, zwangsversteigert. Er hat
den Offenbarungseid geleistet. Derzeit bleiben ihm 900 Euro monatlich zum Leben, mit dem Rest seiner Einkünfte baut er Schulden
ab.
Und dann wird sein Name aufgerufen. Er steht auf und bekommt endlich Gelegenheit, ein paar Dinge über seine Firmen und seine
Geschäftsbeziehungen klarzustellen. Es ist alles etwas kompliziert, aber er ist ein Meister komplizierter Sachverhalte. Er
muss langsamer sprechen, sie schauen ihn alle schon wieder so ungläubig an. Sicher, die Finanzgeschäfte in der Schweiz waren
etwas unglücklich gelaufen, aber es kann ihm doch wohl niemand vorwerfen, er hätte vorsätzlich gehandelt. Die Richter, die
Schöffen und die Staatsanwälte nehmen staunend auf, was er zu sagen hat, aber er muss ihnen mehr Zeit geben, damit sie auch
wirklich verstehen, was damals vor sich ging. Es muss doch jeder erkennen, das er hier das Opfer ist, gegen seinen Willen
hineingeraten in eine »gut organisierte kriminelle Veranstaltung«.
Dann ist es so weit. Die Urteilsbegründung wird sich über drei Stunden hinziehen. Der Richter würdigt ausdrücklich seine Verdienste
um den Einigungsvertrag als Staatssekretär der letzten DDR-Regierung. Er habe maßgeblich an dem Vertragswerk mitgewirkt. Das
lässt sich nicht von der Hand weisen. Das ist der wahre Günther Krause, von dem hier gesprochen wird. Alle, die ihn wirklich
kennen, wissen, dass er immer nur das Beste wollte. Manchmal, das mag schon sein, steht er sich selbst im Weg. Und leider,
das ist sein Karma, sucht er sich immer die falschen Freunde.
Das Gericht befindet ihn in allen Punkten der Anklage für schuldig. Die Strafe lautet auf drei Jahre und neun Monate Haft.
Er wird Widerspruch einlegen.
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|292| Kleine Lügen unter Feinden
Anderthalb Jahrzehnte nach der Vereinigung sind ost- und westdeutsche
Vorstellungen der Nachkriegsgeschichte noch immer de
facto getrennt. Die Darstellung der DDR-Vergangenheit in Schulbüchern
ist oft schemenhaft und plakativ, bietet also den Schülern im
Westen kaum Anregungen für ein differenziertes Verständnis und
verstärkt die Abwehrreflexe der älteren Lehrer im Osten. So bedeutet
das Etikett »Deutsche Geschichte nach 1945« meist eine
mit wenigen Verweisen auf den Osten angereicherte westdeutsche
Geschichte, während Skizzen der ostdeutschen Entwicklung sich
generell auf die DDR allein konzentrieren. Zwar erlebte das SED-Regime
wegen der Öffnung der Archive eine erstaunliche Konjunktur
in der Forschung, aber die Lobeshymnen auf den Erfolg der
Westernisierung und Demokratisierung der Bundesrepublik, die
letztlich den Standard der Bewertung bestimmen, beziehen die
DDR nur als Negativfolie in ihre Argumentation ein.
Konrad H. Jarausch, Kodirektor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam »Die Teile als Ganzes erkennen«, zur Integration
der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe
2004
In Zeiten des Kalten Krieges haben die Deutschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges ihr Geschichtsbild ein wenig geschönt.
Die Historiker beider deutscher Staaten haben die eigene Rolle möglichst
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