Abbau Ost
Marktwirtschaft führen wollte. Im Hinblick auf Unwirtschaftlichkeit und uneffektive |87| Strukturen übertrafen westdeutsche Staatsunternehmen – erinnert sei hier nur an Post und Bahn mit allein 789 200 Beamten,
öffentlichen Arbeitern und Angestellten – selbst die unbeweglichen Kombinate der DDR. Ausgerechnet der altbundesdeutsche Beamtenstaat,
der sich bei seinen wirtschaftlichen Aktivitäten wahrlich keine Sporen verdiente, hing offenbar der Überzeugung an, er könnte
mittels einer deutschen Behörde, der Treuhandanstalt, die Volkseigenen Betriebe gewinnbringend verkaufen und dabei zugleich
die Voraussetzungen für eine marktwirtschaftlich erfolgreiche Tätigkeit schaffen. Tatsächlich gab es dafür in der gesamten
Geschichte der Bundesrepublik nicht ein ermutigendes Beispiel. Selbst nach den frustrierenden Erfahrungen mit der Treuhandanstalt
gerieten die Privatisierungen von Post und Bahn Mitte der 90er Jahre zu einem finanziellen Desaster, für das der Steuerzahler,
allein schon wegen der Pensionsverpflichtungen, noch bis zum Ende dieses Jahrhunderts zahlen muss. Dabei ist es bezeichnend,
dass die Bundesregierung bei Post und Bahn praktisch nach dem Treuhandgesetz der Modrow-Regierung verfuhr, nämlich Aktiengesellschaften
gründete, allenfalls Einfluss auf die Auswahl der Geschäftsführer nahm, sich ansonsten aber zurückhielt. Die Maßnahmen zur
Sanierung und wirtschaftlichen Neuordnung waren selbstverständlich Sache des Unternehmens. Überträgt man die typische Treuhandsanierung,
wie sie in Ostdeutschland in Tausenden Fällen ablief, gedanklich auf Post und Bahn, so wäre von diesen Unternehmen heute nicht
mehr viel übrig. Die meisten Mitarbeiter wären arbeitslos und ihre Arbeit würden andere erledigen.
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Die Partei hat immer recht
Die Vorgehensweise der Treuhandanstalt gründete sich auf die selbstherrliche Entscheidung dreier führender Mitarbeiter – Detlev
Carsten Rohwedder, Birgit Breuel und deren Adlatus Norman van Scherpenberg. »Die Treuhandanstalt«, verlangte das Gesetz, »verwirklicht
ihre Aufgaben in dezentraler Organisationsstruktur |88| über Treuhand-Aktiengesellschaften.« Das Führungstrio setzte sich über diesen Grundsatz hinweg und kam überein, solche Holdings
erst gar nicht ins Leben zu rufen. Stattdessen bedienten sich die Verantwortlichen genau jener zentralistischen Strukturen,
die früher den Parteioberen und jetzt den Mitarbeitern der Treuhandanstalt die totale Kontrolle über die ostdeutsche Wirtschaft
sicherten. Dazu installierte die Treuhandgesellschaft 16 Direktorate und nutzte dafür die Verwaltungsstrukturen der früheren
DDR. Die Treuhandzentrale in Berlin behielt, ähnlich wie das Zentralkomitee der SED, die Oberhoheit und beanspruchte ansonsten
die Privatisierungen und Liquidationen aller Betriebe mit mehr als 1 500 Beschäftigten. Die Zuständigkeit für Unternehmen
mit weniger als 1 500 Beschäftigten lag bei den 15 Niederlassungen, die ihren Sitz in den früheren Bezirkshauptstädten wählten.
Damit das Kalkül aufging, sicherten sich die Treuhandverantwortlichen die Loyalität der Betriebsdirektoren, denen umgehend
vergleichsweise hoch dotierte Geschäftsführerverträge zugingen. Für die alten Direktoren der ehemals Volkseigenen Betriebe
und jetzt neuen Geschäftsführer von Treuhandunternehmen hatte sich nicht einmal viel verändert. An die Stelle des Parteiapparates
war die Treuhandanstalt getreten.
Wie schon die Parteioberen in der DDR, fanden nun die Treuhanddirektoren in den meisten von ihnen loyale Verbündete bei der
Privatisierung, Verwertung und Liquidation der DDR-Industrie. Angeblich sollte die zentrale Organisationsstruktur weniger
Verwaltungsaufwand mit sich bringen und schnellere Privatisierungsergebnisse ermöglichen als die Bildung branchenorientierter
Aktiengesellschaften. Birgit Breuel schrieb dazu in ihrem Tagebuch (›Treuhand intern‹, Berlin 1993) auf Seite 83: »Rohwedder
erkennt sehr schnell, dass bei der Etablierung dieser Gesellschaften wertvolle Zeit verstreichen würde. Er beschließt deshalb,
diese Gesetzesvorschrift zu kippen – mit Genehmigung durch den Bundeskanzler und das Kabinett.« In Wahrheit ging es darum,
die Mitbestimmung der ostdeutschen Arbeitnehmerschaft auszuschalten. Bei der Gründung von Aktiengesellschaften hätten den
Belegschaften gesetzlich verbriefte Mitbestimmungsrechte zugestanden, |89| so aber waren die Unternehmen der Behörde
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