Abbau Ost
kamen zu dem Schluss, die dritte RAF-Generation sei nicht mehr als eine unbewiesene Behauptung der Sicherheitsbehörden,
der klug inszenierte Staatsfeind Nr. 1. Die Bekennerbriefe, die der RAF zugeschrieben werden und auf die sich nahezu die gesamte
Beweislage gründet, hätten in der vorliegenden Form von jedermann angefertigt werden können.
So bleibt auch künftig viel Raum für Spekulationen. Verbürgt ist dagegen, wie sich der Mordfall auf die weitere Vorgehensweise
der Treuhandanstalt auswirkte. Fortan spannte sich Birgit Breuel vor den Karren und zog tiefe Furchen durch die ostdeutsche
Industrielandschaft. Die resolute Chefin, von der es bewundernd hieß, dass »Führungskräfte der deutschen Wirtschaft erhobenen
Hauptes zu ihr ins Zimmer reinmarschierten und wie Schuljungs wieder rauskamen«, setzte fortan auf den schnellstmöglichen
Verkauf des Volksvermögens, und das um jeden Preis. Grimmig und ohne erkennbare Selbstzweifel führte diese Frau das Privatisierungsgeschäft
bis zum bitteren Ende. Doch bevor es an die Arbeit ging und sich Deutschland die Zukunft ruinierte, hielt die Nation noch
einmal den Atem an: Detlev Karsten Rohwedder war tot, ermordet in seinem Haus in Düsseldorf. Alle spürten dieses beklemmende
Gefühl in der Brust, hielten für einen Moment inne und stellten sich die bange Frage: Läuft hier wirklich alles richtig? Aber
wie so häufig, wenn man nicht recht weiterweiß, flüchtet man sich in die Arbeit, und auf den Schreibtischen der Treuhandmitarbeiter
hatte sich eine Menge angesammelt. Die Frage nach einer grundlegenden Korrektur verlor sich unter Bergen von DM-Eröffnungsbilanzen,
Gutachten, Kaufverträgen und dem ganzen lästigen Papierkram, wie er üblicherweise bei Liquidationen anfällt.
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|92| Das geblümte Sofa
In den Wirtschaftsministerien der neuen Länder und innerhalb
der Treuhandanstalt waren mit der Besetzung der weitaus meisten
Leitungspositionen durch westdeutsche Beamte und Manager die
Möglichkeiten der Problemlösung eingeengt, und zwar auf das
Handlungsrepertoire, das durch ihr Erfahrungswissen und innerhalb
der zugleich von West nach Ost übertragenen institutionellen
Ordnung zur Verfügung stand.
Roland Czada, Professor für Politikfeldanalyse und Verwaltungswissenschaft an der Fernuniversität Hagen und Dekan des Fachbereichs
Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück
Vier Wochen nach der Ermordung von Detlev Karsten Rohwedder schaltete die Treuhandanstalt eine Anzeige in allen überregionalen
Zeitungen. Das Foto zeigte Erich Honecker auf einem geblümten Sofa. Darunter stand die Schlagzeile: »Ihn mussten wir leider
entlassen. Wann fangen Sie an?« Angesprochen waren Absolventen betriebswirtschaftlicher Studienrichtungen an westdeutschen
Hochschulen und Universitäten. »Die Treuhandanstalt«, hieß es im Anzeigentext, »größter Konzern der Welt, braucht 100 junge
Kaufleute. Sie werden viel entscheiden, aber auch viel Dankbarkeit erfahren. Nach einiger Zeit bei der Treuhandanstalt werden
Sie alle Chancen haben, eine schnelle Karriere zu machen. Wenn Sie nach einigen Jahren zurück in die westdeutsche Wirtschaft
möchten, müssen Sie sich nicht als Namenloser irgendwo bewerben.«
Angesichts dieser Geschmacklosigkeit wünschten damals nicht wenige, Helmut Kohl hätte neben Erich Honecker auf dem Sofa Platz
genommen. Diese deutsch-deutsche Wohnzimmerszene hätte ein treffliches Bild vom wiedervereinigten Deutschland zeichnen können
und wäre den Deutschen für immer im Gedächtnis geblieben. Links der aus einer saarländischen Bergarbeiterfamilie stammende
Generalsekretär, Sportsfreund und Schalmeienbläser, westlichster Statthalter des Sowjetreichs, der, obwohl des Russischen
nicht mächtig, alles zu verstehen meinte. Auf der rechten Seite der aus einer kleinen Beamtenfamilie stammende Bundeskanzler |93| mit seinen umstrittenen rhetorischen Fähigkeiten, seinem unstillbaren Machthunger und einer Vorliebe für deftige Pfälzer Hausmannskost.
Drei Monate vor dem Beitritt hatte die Treuhandbehörde erst 130 Mitarbeiter. Am Tag der deutschen Einigung, am 3. Oktober
1990, waren es gerade 379 Beschäftigte. Die meisten der 220 Neuzugänge in der Zeit zwischen der D-Mark-Umstellung und dem
Einigungstag kamen aus den Bezirksverwaltungen der DDR, die bereits mit Blick auf die künftigen Länderstrukturen aufgelöst
wurden. In dieser Zeit beschäftigte die Treuhandanstalt erst elf aus
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