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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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vorstellen, dass außer der Gemeinde jemand für den Küstenwald bieten
     würde. In dem etwa 75 Meter breiten, bewaldeten Schutzstreifen zwischen Steilküste und Ostseebad herrschte absolutes Bauverbot.
     Die Küste hatte sich nach Sturmfluten in den letzten hundert Jahren bereits 45 Meter landeinwärts verschoben. Ein Wanderweg
     führte durch den Küstenwald, dort unterhielt die Gemeinde Wanderhütten, Bänke standen dort und die Toilettenhäuschen für die
     Badegäste. Durch den Küstenwald führten die Wege von den Pensionen und Ferienwohnungen zu den öffentlichen, sechzehn Meter
     hohen Strandtreppen. Die Stadtvertreter bezeichneten den Küstenwald als »das touristische Rückgrat« der Gemeinde, und da |81| sich die Kleinstadt den Kauf eigentlich nicht leisten konnte, hatten in den letzten Wochen viele Bürger ihre Spendenbereitschaft
     signalisiert und die ersten bereits ihren Beitrag auf das Gemeindekonto überwiesen.
    Der Auktionator rief die erste Katalognummer auf. Der Bürgermeister und die Amtsleiterin hörten sich das immer gleiche Prozedere
     einige Male an und gingen dann in die Kantine, wo sie das Auktionsgeschehen über Lautsprecher verfolgen konnten. Sie aßen
     eine Kleinigkeit und redeten noch einmal über ihr Gebot, obwohl sie das alles nun schon so oft durchgegangen waren, dass es
     eigentlich nichts mehr zu sagen gab. Die Angelegenheit kam durch eine baurechtliche Anfrage auf den Tisch der Amtsleiterin,
     ein simpler Verwaltungsakt, für den ein Formular ausgefüllt und an den Antragsteller geschickt werden musste. Was das Baurecht
     im Küstenwald betraf, so handelte es sich lediglich um die amtliche Bestätigung einer allseits bekannten Tatsache: Nichts
     war möglich. Damit schien die Angelegenheit erledigt, aber dann fand der Bürgermeister im Auktionsanzeiger den Versteigerungstermin
     für den Küstenwald, und das war das erste Mal, dass er und die Amtsleiterin von den Verkaufsabsichten erfuhren. Bürgermeister
     Wolfgang Gulbis rief daraufhin bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, dem früheren Bundesvermögensamt, an. Der verantwortliche
     Beamte vertrat den Standpunkt, dass mit der baurechtlichen Anfrage die Verkaufsabsicht deutlich gemacht, die Kommune folglich
     informiert worden sei und ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen konnte. Wolfgang Gulbis erkundigte sich, ob die Stadt den Küstenwald
     nicht direkt von der Behörde, zum Schätzpreis, kaufen könne, doch der Beamte lehnte ab. Die Amtsleiterin telefonierte mit
     der Norddeutschen Grundstücksauktionen AG und erkundigte sich, was es kosten würde, wenn man den Küstenwald aus dem Katalog
     herausnähme? Sie bekam die Antwort, dass dies nicht möglich sei und die Kommune das auch gar nicht bezahlen könne.
    Zu DDR-Zeiten gehörte der Küstenwald selbstverständlich der Kommune, genaugenommen handelte es sich, wie es seinerzeit hieß,
     um Volkseigentum in Rechtsträgerschaft des Rates der Stadt |82| Rerik. Doch mit der deutschen Einigung verloren die über vier Jahrzehnte geltenden Eigentumsverhältnisse ihre Gültigkeit,
     das wiedervereinigte Deutschland trat nicht die Rechtsnachfolge der DDR an, sondern die des Nationalsozialistischen Deutschland.
     Der Küstenwald, ein Großteil des damaligen Fischerdorfes Alt Gaarz und die gesamte, an den Ort grenzende Halbinsel Wustrow
     wurden so genanntes Reichseigentum. Auf der Halbinsel entstand eine Flakartillerieschule, im nahen Ort wurden Offiziersvillen
     errichtet und das Dorf wegen des slawischen Ursprungs von Alt Gaarz in Rerik umbenannt. Dieses Reichseigentum fiel mit der
     deutschen Einigung an die Bundesrepublik und ihre für bundeseigene Immobilien zuständige Behörde, das Bundesvermögensamt.
     Und fast genau fünfzehn Jahre nach dem offiziellen Einigungstermin, am 30. September 2005, gegen 13.00 Uhr, war es so weit,
     da wollte der Bund seinen Besitz zu Geld machen, da versteigerte sich die Bundesrepublik Deutschland selbst ein Stück Küstenwald.
     »Volkswirtschaftlich ist das völliger Irrsinn«, murmelte Wolfgang Gulbis, stand auf und ging gemeinsam mit der Amtsleiterin
     zurück in den Auktionssaal.
    »Aufgerufen wird die Katalognummer 88!« In der gewohnt hastigen Art las der Auktionator vor, um welches Grundstück es sich
     handelte. »Gibt es Gebote?« Und plötzlich meldete sich dieser Mann, der gerade erst hereingekommen sein musste, und erhöhte
     das Mindestgebot von 12 500 um 500 Euro. Alle Augen richteten sich auf den etwas beleibten Herrn im dunklen

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