Abbau Ost
Westdeutschland kommende Mitarbeiter, vornehmlich in
leitenden Funktionen. Bis Juni 1993 wuchs die Belegschaft auf 4 024 Angestellte, deren Schreibtische von einem ganzen Heer
westdeutscher Honorarkräfte belagert wurden. Das neue Leitungspersonal wurde aus altbundesdeutschen Beziehungsnetzwerken rekrutiert.
Ehemalige DDR-Bürger kamen nicht mehr über die Abteilungsleiterebene hinaus. Das Personalgerangel begann noch unter Detlev
Karsten Rohwedder, der die sogenannte »Kopftheorie« favorisierte. Zuerst wurden die Direktoren berufen, die zogen ihre Referenten
nach und die wiederum erwählten aus ihrem persönlichen Bekanntenkreis die Abteilungsleiter. Dieses Verfahren setzte sich auch
beim untergeordneten Leistungspersonal und bei Honorarkräften fort. Die Fachkompetenz dieser frei gewählten Köpfe ließ oft
zu wünschen übrig, nie aber deren Loyalität und Verschwiegenheit.
Spätestens nach den Säuberungsaktionen der Stasi-Behörde hatte kein Ostdeutscher mehr nennenswerten Einfluss auf die Privatisierungsarbeit.
Selbst auf mittleren Leitungsposten waren Treuhandbeschäftigte mit DDR-Vergangenheit ausgesprochen rar. Nicht nur inhaltlich,
auch personell war der Verkauf des Volksvermögens etwas, was Westdeutschland mit sich selbst aushandelte. Klaus Klamroth,
einer der Niederlassungsdirektoren, erinnerte sich später an »einen Stall voll junger Referendare, die ihre Arbeit wie die
Fortsetzung juristischer Seminare betrieben. Ich habe bis heute Verständnis dafür, dass mancher Betroffene aus Ost und West,
der mit diesem ungelenken Nachwuchs zu tun hatte, |94| das Gefühl bekam, dass die Treuhandanstalt die Kommandowirtschaft ihrer Vorgänger fortsetzte. Merkwürdig ist, wie schnell
Menschen, wenn sie Macht zu haben glauben, ihre Manieren verlieren und selbstverständliche Gebote der Höflichkeit vergessen
können.«
Wenn es gelänge, den Ton noch einmal hörbar zu machen, den diese Leute gegenüber den ehemaligen DDR-Bürgern anschlugen, würde
manchem die Schamröte ins Gesicht steigen. Niemand, der das erleben musste, wird vergessen, wie dreist auftretende Treuhandmitarbeiter
die totale Macht ihrer Behörde ausnutzten und lebenserfahrene, gebildete Menschen mit ihrer Unfähigkeit und ihrem schlechten
Benehmen traktierten.
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Die Ermessensfrage
Da der Treuhandanstalt ein Ermessensspielraum durch den Gesetzgeber
eingeräumt worden ist, wird sich bei Privatisierungen der
Verdacht der Untreue im Regelfall kaum begründen lassen.
Finanzminister Theo Waigel, in einem Brief an Treuhandchefin Birgit Breuel
Am 16. Januar 1991 schickte die Personalabteilung einen Brief an alle Niederlassungsdirektoren und Aufsichtsräte. Das ungeduldig
erwartete Schreiben sorgte für ein erleichtertes Aufatmen in der Privatisierungsbehörde. Viele Treuhandmitarbeiter, besonders
jene, die vorausschauten und immer auch die Folgen ihrer Handlungen bedachten, sorgten sich um ihre persönliche Verantwortung
und die rechtlichen Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Jeder Einzelne entschied mit einem Federstrich über die Schicksale
Tausender Menschen, bewertete Eigentumsfragen nach einem im Osten untauglichen Reglement und im Zweifelsfall auch schon mal
nach eigenem Gusto. Die Vorgehensweise der Privatisierungsbehörde, ihre geradezu selbstherrlichen Machtbefugnisse und die
vielfältigen Möglichkeiten persönlicher Vorteilsnahme entfaltete eine magische Anziehungskraft auf zwielichtige Persönlichkeiten. |95| Die Übergänge waren fließend. Mancher aufrichtige ältere Herr, der seine berufliche Laufbahn durch die »Aufbauhilfe Ost« zu
krönen gedachte, bewegte sich am Ende eines honorigen Berufslebens in einem kriminellen Umfeld.
»Im Hinblick auf die ungewöhnlich vielen, vielgestaltigen und schwierigen Aufgaben«, begann das Schreiben der Personalabteilung,
»die zwar gründlich, aber überaus zügig zu bearbeiten sind, stellen wir Sie von Rückgriffen für Schäden aus fahrlässigem Verhalten
jeder Art bis zum 30.06.1991 frei. Ab 01.07.1991 gilt diese Freistellung nicht mehr für Schäden aufgrund grobfahrlässigen
Verhaltens.«
Alle, denen in den zurückliegenden Monaten Zweifel an der Vorgehensweise der Privatisierungsbehörde gekommen waren, konnten
nun noch einmal zweifelsfrei nachlesen, was hier von ihnen erwartet wurde. Die administrativ verordnete Gesetzlosigkeit beruhigte
nicht nur das Gewissen, es war die unmissverständliche Aufforderung, sich im
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