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Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Titel: Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
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Straßen Londons unsicher machte und kaum etwas fürchtete, war das Gefängnis von Newgate das Sinnbild der Hölle.
    »Lieber ein schneller Tod am Galgen, als durch das Fegefeuer von Newgate zu gehen und bei lebendigem Leib langsam zu vermodern!« hieß es auch bei den abgebrühten Verbrechern.
    Newgate war das Hauptgefängnis von London und im Jahre 1804 schon über 600 Jahre alt. Es war ein widerlicher Ort. Offene Abwässerkanäle, in denen sich Ratten tummelten, zogen sich durch die überfüllten Zellen. Der Gestank von Kot und Gefängnisfeuchtigkeit war unbeschreiblich. Und die Ungezieferplage war so groß, dass man keinen Schritt tun konnte, ohne dass man Läuse und anderes Getier zertrat. Unausrottbar bevölkerte das Ungeziefer das Gefängnis, das zudem noch als privates Unternehmen geführt wurde.
    Zwar schmückten die Statuen der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und der Wahrheit die Fassade über dem Haupttor, doch mit der Wirklichkeit von Newgate hatten diese noblen Grundsätze nicht das Geringste zu tun. Die Wärter waren gefühllos gegenüber dem sie umgebenden Elend, oftmals sadistisch und ausnahmslos bestechlich. Die Gefangenen mussten Unterkunft und Verpflegung selber bezahlen. Wer genügend Geld besaß, konnte sich in einem gesonderten Trakt, der sich master side nannte, einen verhältnismäßig komfortablen Gefängnisaufenthalt erkaufen – in einer Einzelzelle und mit allen Annehmlichkeiten. Gelegentlich ließ sich sogar die Freiheit erkaufen. Es war nur eine Frage von genügend Goldstücken. Wer jedoch wenig oder überhaupt kein Geld aufbringen konnte, war der Unbarmherzigkeit der Wärter ausgeliefert. Ohne Geld war Newgate ein Ort ohne Hoffnung.
    Abby hatte nicht einen Penny gehabt, und so hatte ihr der Wärter kurzerhand den Umhang abgenommen. Es berührte ihn überhaupt nicht, dass er ihre Überlebenschance damit erheblich verringerte. Er stieß sie in eine der dreckigsten Zellen, in der schon mehrere dutzend Frauen und Mädchen hausten, einige von ihnen seit Jahren. Er griff auch nicht ein, als sich zwei gewissenlose Mitgefangene sofort auf sie stürzten und ihr Schuhe, Strümpfe und Schal abnahmen. Auf ihr flehentliches Bitten, ihr doch nicht noch das Letzte zu nehmen, erntete sie nur höhnisches, verächtliches Gelächter. Sogar der Wärter stimmte darin ein. Die stinkenden, höhlenartigen Löcher von Newgate waren nun mal eine Welt, in der nur die Widerstandsfähigsten und die Rücksichtslosesten eine Überlebenschance besaßen …
    Während Abby zitternd im feuchten Stroh lag und die Kälte durch ihren Körper kroch, dachte sie immer wieder daran, was der Wärter gesagt hatte, als er die Gittertür der Zelle verriegelte und sich zum Gehen wandte: »Wieder eine mehr, die nicht über den Winter kommt. Keine vier Wochen gebe ich ihr.« Er hatte es mehr zu sich selbst und mit völlig teilnahmsloser Stimme gesagt, so wie man eine unabänderliche und zugleich bedeutungslose Tatsache feststellte.
    Ein Schauer entsetzlicher Kälte durchlief sie. Er hatte nichts mit dem eisigen Wind zu tun, der durch das Gitterfenster wehte. Er kam aus dem Innern, geboren aus grenzenloser Angst.

Fünftes Kapitel
     
    Grau und nebelig zog der neue Tag über London herauf.
    Abby erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Ihre Hände und Füße waren so eiskalt, dass sie fast kein Gefühl mehr in ihnen hatte. In die Menge eng aneinander gedrängter Leiber kam Bewegung. Wie ein ins Wasser geworfener Stein, der seine Kreise zog. Die zerlumpten, von Furunkeln, Geschwüren und Ausschlag befallenen Frauen richteten sich im Stroh auf. Stöhnend, fluchend, hustend und spuckend.
    Abby nahm eine Hand voll Stroh und rieb ihre nackten eiskalten Beine. Sie massierte sie so lange, bis sie ein Kribbeln spürte und wieder Gefühl in ihnen hatte.
    Auf einmal kam Unruhe unter den Zelleninsassen auf. Vier, fünf Gestalten stürzten zur Gittertür. »Es ist Putney, der Mistkerl von einem Wärter!«, rief eine der Frauen.
    »Dreimal die Pest über ihn und sein versoffenes Weib!«, fluchte ein hageres ausgezehrtes Mädchen, das Abby gegenüber saß und keine zwanzig Jahre alt war. Sie konnte kaum noch aufstehen, weil ihre Beine unförmig angeschwollen waren. Es hieß, sie würde es nicht mehr lange machen und den Frühling mit Sicherheit nicht erleben.
    Philip Putney war nicht der schlechteste unter den Wärtern, doch gemein und raffgierig genug, um ihn aus tiefster Seele hassen zu können. Seine stämmige Frau Sarah stand ihm in nichts nach.

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