Abendfrieden
ein Reagieren offenbar unumgänglich war. »Nun reg dich bitte nicht so auf. Sag dir einfach, sie ist eine alte Frau. Schließlich werden wir doch alle mal alt.«
Eben, dachte Regine. Wenn ich die Betreuung deiner Mutter noch weiter durchziehe, dann bin ich ratzfatz selber alt. Dann brauche ich auch nicht mehr zur Schönheitskur.
Erregt schüttelte sie den Kopf. »Andere alte Leute leben längst im Heim – zum Wohle aller Beteiligten.«
»Ins Heim abschieben – nein, das könnte ich meiner Mutter nicht antun.« Norbert sagte es, als habe er es auswendig gelernt.
»Abschieben – das ist ein ganz blöder Ausdruck. Heutzutage gibt es todschicke Seniorenresidenzen, die sind wie Hotels, vorne ein Empfangschef, Musikzimmer, Kaminzimmer und, und, und. Manche haben sogar ein eigenes Theater. Da wollen die Alten freiwillig hin, sie freuen sich, wenn sie dort einen Platz kriegen.«
»Ich glaube, du hast keine Vorstellung, was das kostet. Mutters Vermögen wäre in Kürze aufgebraucht. Und außerdem – das Stichwort ›Heim‹ solltest du in ihrer Gegenwart unbedingt vermeiden. Ein einziges Mal habe ich davon angefangen, und ich habe dir ja erzählt, was da los war. Sofort hat sie mir mit Enterbung gedroht.«
»Geld«, sagte Regine verächtlich. »Was ist schon, wenn sie dich enterbt?«
»Sie hat von einer Stiftung gesprochen. Dann sind wir das Haus los, das müsstest du doch wissen. Und wenn das mein Bruder erfährt und seinen Pflichtteil verlangt …«
»Ach, der. Lebt der noch? Den hast du doch seit Jahren nicht gesehen.« Regine fühlte sich plötzlich müde. »Gehen wir hinunter.«
Im Wohnzimmer begann in gewohnter Dreisamkeit der Fernsehabend.
7
Hauptkommissar Danzik stand am Fenster seines Büros und sog die frische Märzluft ein. Frühlingsbeginn, eigentlich eine Zeit zum Singen und Springen, stattdessen fühlte er sich seelisch wie zusammengefallen. War das nun ein Streit gewesen, den er mit Laura gehabt hatte, oder nicht? Er setzte sich wieder an den Schreibtisch, doch was in der Akte stand, nahm er nicht auf, sein Blick ging nach innen. »Was ist los mit dir?« Sein Kollege Torsten Tügel, der ihm gegenüber saß, klatschte leicht in die Hände. »Schläfst du etwa noch?«
»Frühjahrsmüde.«
»Gut, dann organisier ich uns einen Kaffee.«
»Nein, nicht diesen Automaten-Kaffee, da verzichte ich lieber.«
»Okay, Werner. Dann koch ich uns einen. – Ist das der Laborbericht zum Fall Holthusen?«
»Ja.«
»Soll ich mal wetten – Tod durch Krankheit oder Mord?«
»Wir sind hier nicht auf der Trabrennbahn.«
Tügel füllte den Kaffee in die Tüte. »Ich sage, die Holthusen ist ermordet worden.«
»So sieht’s aus. Es könnte aber auch Selbstmord gewesen sein. Allerdings hat man keine Tablettenschachteln gefunden, und eine Selbstmörderin räumt doch nicht noch alles weg. Jedenfalls ist Elisabeth Holthusen vergiftet worden.«
»Ja, dann rück doch mal mit den Details raus. Also, du bist heute wirklich heavy go-ing, Chef.«
»Danke.« Werner Danzik nahm seine hohe, weißgrün gemusterte Porzellantasse mit dem duftenden Kaffee entgegen, und sein Gesicht hellte sich etwas auf. »Sie ist durch eine Überdosierung eines Medikamentes, kombiniert mit Alkohol, zu Tode gekommen. Durch ein Herzmittel mit dem Wirkstoff Digitoxin.«
»War sie denn herzkrank?«
»Wir müssen uns mit dem Hausarzt in Verbindung setzen, um herauszufinden, wie die Ausgangslage war. Was hatte sie aktuell für Leiden, was hat sie auf Dauer eingenommen.«
»In dem Alter nehmen die doch alle was. Ohne kommen die doch gar nicht über die Runden.«
»Du brauchst hier gar nicht so verächtlich zu reden.« Von Danziks humorvoller Nachsichtigkeit war heute nichts zu spüren. »Wer weiß, was du später mal für eine Batterie von Medikamenten auf deinem Nachttisch hast.«
»Ist ja schon gut, Chef.«
»Von Elisabeth Holthusen ist uns eher der Eindruck vermittelt worden, dass sie recht vital und lebenslustig war. Sogar einen Liebhaber soll sie gehabt haben.«
»Wow! Woher weißt du das denn?«
»Tja, man hat so seine Quellen.«
»Einen Geliebten mit über siebzig?«
»Das kannst du dir in deinem jugendlichen Wahn natürlich nicht vorstellen. – Aber lassen wir das. Wir fahren jetzt zum Leinpfad, die Schwiegertochter erwartet uns.«
Anja Holthusen machte ihnen selbst die Tür auf. Ihr massiger Körper steckte in einem blauen Baumwollkleid, die stumpfgrauen kurzen Haare waren gekämmt. Ein schön geschnittenes Gesicht, dachte
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