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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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hier nicht vielleicht doch um so etwas wie einen notwendigen Test handle, ein Gemenge lieferten, was sich zwischen den Lampions seiner Ohren in grotesken Grimassen äußerte; als würde sich dieser Mann nicht auf eine Karriere als Terrorist, sondern als Clown vorbereiten. Er fürchtete sich, fürchtete sich vor allem und fürchtete sich auf eine so komische Art, daß ich fürchtete, in Lachen auszubrechen, wenn ich ihm auch nur in die Augen sähe. Ich wünschte nur, daß er bald verschwindet und daß Dagmar kommt und ich ihr diese verrückte Geschichte erzählen kann und wir uns am Boden rollen.
    »Also gut«, sagte ich.
    Wir stiegen in seinen Kombi, und ich dirigierte ihn. »Fahr dort vorne rechts!« – »Jetzt links!« – »Über die Brücke!« – »Über die nächste Ampel!« – »Jetzt rechts!« – »Jetzt wieder links!« – »Geradeaus!« – »Weiter geradeaus!« – »Jetzt wieder rechts!« – »Hier stell den Wagen ab!« – Wir waren in der Bockenheimer Landstraße. Ich sagte: »Vorne das Haus! Das geziegelte! Das mit der Steintreppe davor! Die dritte Klingel von oben! Wo kein Name steht! Drück’ einmal! Zähl langsam bis fünf! Dann drück’ sechsmal! Und sag’ einen schönen Gruß von mir!« Ich reichte ihm die Hand. Er nahm sie nicht. Er zitterte und wollte nicht, daß ich es merkte.
    Ich stieg aus und ging davon. Und kicherte durch die Stadt bis nach Sachsenhausen und stellte mir vor, wie sich die an den Klassikern des dialektischen Materialismus geschulte Schwäbin und der deklassierte, sich nach Terror sehnende Bauer aus dem Vorarlberger Rheintal miteinander unterhielten: über das, was gut und nicht schlecht war – zum Beispiel, daß nun endlich der KBW von der KP Chinas als Bruderpartei anerkannt wurde –, und das, was schlecht und nicht gut war – zum Beispiel die NATO, aber auch die Gegner der NATO und ebenso die Gegner der Gegner der NATO, die nicht dieselben waren wie die NATO, und dazu noch die Gegner der Gegner der Gegner der NATO, die nicht dieselben waren wie die Gegner der NATO; während der Bruder Nummer eins aus dem demokratischen Kampuchea milde lächelnd vom Poster an der Wand auf sie herabblickte.
7
    Dagmar trug einen Mantel, den ich nicht kannte. Ihre Mutter habe ihn für sie schneidern lassen, und zwar nach Maßgabe von Dagmars Lieblingsmantel. Im Gegensatz zu allem anderen, was Frau Vorländer ihrer Tochter bisher geschenkt hatte, verfolgte dieses Kleidungsstück offenkundig keinen didaktischen Zweck, sonst wäre es nicht schwarz gewesen. Dagmar sagte: »Schade, daß du Weihnachten nicht bei uns warst! Die nächsten Weihnachten feiern wir zu dritt, weißt du das?« Sie sah so schön aus! Ihr Gesicht war gebräunt vom vielen Spazierengehen in der Wintersonne an der Lahn entlang und noch etwas runder als vor drei Wochen. »Ich hoffe, du hast ordentlich eingekauft«, sagte sie, »ich muß inzwischen alle zwei Stunden fressen.« Als wir uns küßten, stellten wir uns seitlich zueinander. Ihr Bauch war mächtig, sie legte die Hände oben drauf wie auf ein Pult. Ich wollte sie gleich nackt sehen, und sie wollte es auch. Ihre Brüste hatten sich gesenkt, der Nabel war nur noch eine flache Delle, die Haut darum herum spannte prall und weiß, an den Seiten traten blaue Äderchen hervor, die ihr Sorgen bereiteten, weil hier Schwangerschaftsstreifen zurückbleiben könnten. Ich wärmte das vorbereitete Risotto – mit getrockneten Steinpilzen, eine ihrer Lieblingsspeisen –, und während sie aß, massierte ich ihren Bauch und ihre Seiten mit Olivenöl und einem aus grober Schnur grobgehäkelten Handschuh, wie ich es, dem Rat der Kolumnistin einer Frauenzeitschrift folgend, seit Beginn der Schwangerschaft jeden Morgen und jeden Abend tat. Sie zog den Hals ein und wiegte sich genüßlich und wuschelte mir ihre Haare ins Gesicht. Ihre Eltern, die ich von drei Besuchen bei uns in der Danneckerstraße kannte und deren Antipathie mir auf beinahe schon beruhigende Art sicher war (ich hatte den Verdacht, sie bestand, seit ich erzählt hatte, daß ich mir mein Studium selbst verdient hätte, was sie als eine Art von proletarischem oder bohemienhaftem Auftrumpfen mit klassenkämpferischem Touch auslegten, scharf gezielt auf sie, die sie als Notar und Ärztin, aus Notars- und Arztfamilien stammend, ihrer Tochter und ihrem Sohn selbstverständlich immer alles bezahlten), hatten ihr ein Weihnachtspaket für mich mitgegeben, das ein Buch zum Thema Vaterwerden, einen Baby-Tragesack aus beigem

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