Abendland
Schnürlsamt und ein verchromtes Zigarettenetui enthielt, dazu ein Brieflein, von »der Oma« geschrieben, in dem sie mich und Dagmar zu einem Wochenende meiner Wahl nach Marburg einlud. Das bedeute, sagte Dagmar, daß mich ihre Mutter, die treibende Kraft der Ablehnung, endlich als Schwiegersohn akzeptiere. Dagmar war mit ihrem R4 gekommen, sie mußte den Sitz so weit zurückschieben, daß sie Mühe hatte, mit den Füßen die Pedale zu erreichen. Ihr Vater habe vorgeschlagen, sie solle den Renault in Marburg stehen lassen, er fahre sie mit seinem BMW nach Frankfurt. »Das wollte ich nicht. Wir brauchen unser Auto doch«, sagte sie. »Du willst mich doch bestimmt in der Gegend herumkutschieren.« – »Ja, das will ich«, sagte ich, und so kindisch es war, ich freute mich, daß sie »unser Auto« gesagt hatte. Wir legten unsere Zudecken und Kissen in der Küche auf den Teppich, und ich schob meinen Kopf zwischen ihre Beine und streichelte mit der Zunge die seidenen Hautfalten, zwischen denen hindurch in vierundzwanzig Tagen unser Kind in die Welt entlassen würde.
Als es draußen dämmerte, fragte ich sie: »Soll ich dir eine Geschichte erzählen?«, und sie sagte: »Erzähl mir eine Geschichte!« Auf diesen Augenblick hatte ich mich gefreut, seit ich Chucky losgeworden war. Ich schenkte ihr ein Glas Rotwein ein und zündete eine Kerze an, erzählte, was ich hier erzählt habe, und wir rollten über den Fußboden.
In der Nacht weckte sie mich. »Hast du wirklich gesagt, er soll der Schwäbin einen schönen Gruß von dir ausrichten?«
»Ja, natürlich.«
»Ich habe auf einmal Angst, daß das keine gute Idee war?«
»Es war sogar eine sehr gute Idee. Du hast jedenfalls gelacht wie schon lange nicht mehr. Und es ist gut und nicht schlecht, wenn eine Schwangere lacht.«
»Die Kontakte, von denen dein Freund glaubt, du verfügst über sie, die kann sie ihm bieten. Das kann sie, glaub mir!«
»Er ist ein Idiot, sie ist eine Idiotin. Sie werden gut miteinander auskommen. Vielleicht wird etwas daraus, wer weiß. Vielleicht werden sie mir beide furchtbar dankbar sein.«
»Was, glaubst du, wird sie sich denken? Sie wird sich denken, du machst dich lustig über sie.«
»Dann denkt sie eh richtig.«
»Und was wird dein Freund denken?«
»Das gleiche.«
»Und die beiden werden ihre Gedanken austauschen.«
»Das meine ich ja. So kommen sie sich näher. Das ist doch nett.«
»Aber ich finde es nicht nett, wenn sie den Vater meines Kindes umlegen.«
Ich spielte den Reporter, der in Embryosprache den Zustand der Welt unter die Bauchdecke meldet, und Dagmar lachte wieder, und schließlich schlief sie ein. Und ich schlief auch ein.
Beim Frühstück war sie nervös, und als ich sie an der Schulter berührte, fing sie an zu weinen. Sie habe, sagte sie, geträumt, mein Freund Chucky schieße ihr mit einem Gewehr in den Bauch. Ich war mir nicht sicher, ob ich das glauben sollte. Ich neigte dazu, es nicht zu glauben. Glaubte eher, daß sie mir etwas vorspielte. Schätzte Nervosität und Tränen als ihren Beitrag zu meinem Plot ein. Es wäre typisch für sie gewesen. Ich hatte die Show an mich gerissen, das hätte bereits ausgereicht für ihren Verdruß, aber ich hatte obendrein meine Geschichte auf einem Schauplatz enden lassen, der ein Schauplatz ihres Lebens war; nun wollte sie etwas dagegenhalten. Hätte ich eine ernste, tendenziell tragische Geschichte erzählt, hätte sie versucht, mit einer Komödie zu kontern. So blieb ihr nur die Aussicht auf eine Tragödie. Daß sie nicht davor zurückschreckte, die eigene Leibesfrucht als Opfer in ihrem Plot auftreten zu lassen, wunderte mich nicht im geringsten, so war sie eben; und genau das beruhigte mich auch wieder: Wenn sie sich wirklich vor Chucky und der Schwäbin fürchtete, würde sie sich nicht ausgerechnet so einen Traum ausdenken. Das alles entsprach dem üblichen Muster unserer Kommunikation.
Ich beging einen Fehler. Anstatt meinen komischen Teil und damit die Konkurrenz zwischen unseren beiden Stories zu verstärken – wie ich es in Zeiten vor unserem großen Streit und vor Dagmars Schwangerschaft getan hätte –, wollte ich unter allen Umständen eine Auseinandersetzung vermeiden und zeigte mich reuig. »Vielleicht hätte ich ihn wirklich nicht zu der Schwäbin schicken sollen«, sagte ich.
Sie erschrak, und ich sah, daß dieses Erschrecken nicht gespielt war. »Warum, meinst du?« fragte sie leise.
»Es war unfair ihm gegenüber.«
»Aber das meinst du doch
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