Abendland
vernünftige Einteilung.«
»Aber darüber will ich jetzt nicht reden, verdammt noch mal!«
»Du hast damit angefangen!«
»Warum schickt mir der Lukasser einen, der bei der RAF mitmachen will? Das wird sie sich denken. Also, entweder hat der Lukasser Verbindung zur RAF, oder er hat zum Beispiel Verbindung zum Verfassungsschutz, und dieser Chucky soll als Spitzel eingeschleust werden. Auf jeden Fall aber denkt der Lukasser, denkt sie, sie hat Beziehungen zur RAF. Was meinst du, wie ihr das gefällt!«
»Sie ist zwar eine Idiotin, aber auf ihre besondere Art ist sie nicht dumm. Sie würde nach fünf Minuten checken, daß sich Chucky nicht als Spitzel eignet.«
»Das ist doch völlig egal, ob der sich als Spitzel eignet oder nicht. Er muß nicht einmal wissen, daß er ein Spitzel ist!« schrie sie mich an. Ihr Atem flatterte, so nahe war sie dem Weinen. Ich ließ ihr Zeit. Schließlich hielt sie meine Handgelenke fest und schluckte und bewegte dabei ihren Kopf auf und nieder, als falle ihr das Schlucken schwer. »Hör genau zu, was ich jetzt sage, und unterbrich mich nicht! Willst du mich unterbrechen?«
»Nein.«
»Also. Sie wird sich denken: So, dieser Chucky ist einer, der ist wirklich radikal, der tut alles, was man ihm sagt, der legt einen Mann um, wenn man sagt, leg den Mann um, der will wirklich und nicht nur theoretisch, daß etwas geschieht, der prescht vor, der fürchtet sich vor nichts. So. Und was denkt sie weiter? Der ist einer, der die Genossen anstachelt, der sie aufweckt, ein echter Proletarier, die Genossen werden begeistert von ihm sein. Sie werden sich alle in ihn verlieben. Die Genossen lieben nämlich Bauern. Die glauben nämlich wirklich, daß die Einwohner von Phnom Penh aus lauter Begeisterung aufs Land gezogen sind. Die Genossen werden so verliebt in Chucky sein, daß sie gar nicht merken, daß er vom Verfassungsschutz observiert wird. Weißt du, was ich meine? So einer wie dieser Chucky, der braucht kein Spitzel zu sein, also daß er direkt für den Verfassungsschutz arbeitet. Der ist ein Spitzel, ohne daß er es merkt, verstehst du? Es ist nicht schwer, so einen wie den zu observieren, der ist wie ein Panzer, der über ein ebenes Feld fährt. Nicht zu übersehen. Und das ist der Trick, wird sie sich denken. Das hat sie mir doch alles erzählt, so haben es die Konterrevolutionäre mit dem Bucharin gemacht, um den Genossen Stalin zu stürzen, und mit dem Radek und dem Sinowiew und dem Kamenew und dem Trotzki sowieso und auch mit den anderen, sogar mit Lenins Witwe, das hat mir die Schwäbin haarklein erzählt, und daß der Genosse Stalin nicht auf diesen Trick reingefallen ist. Erst haben alle geglaubt, der Bucharin sei ein guter Genosse. Aber ein guter Genosse ist etwas Unsicheres, aus einem guten Genossen kann jederzeit ein schlechter Genosse werden. Das hat sie mir alles erklärt. Jeder gute Genosse hat als Möglichkeit den schlechten Genossen in sich. Verstehst du? Später haben alle geglaubt, der Bucharin sei ein Spitzel. So sonnenklar war, daß der Bucharin ein Spitzel ist, daß die Intelligenten bald bei sich gedacht haben, das ist zu sonnenklar, der ist sicher kein Spitzel, den wollen uns die Reaktionäre nur rausschießen. Aber einer, der auf diese Weise als kein Spitzel erkannt worden ist, der ist nicht mehr etwas Unsicheres, der ist etwas Sicheres. Der ist wirklich das sicherste. Und genau das war der Trick. Daß alle glaubten, der Bucharin sei der Sicherste. Das hat mir die Schwäbin erklärt. Was glaubst du, wird sie sich denken? Sie wird sich denken: Ha, ich und Stalin! Ich und der Genosse Stalin! Wir beide lassen uns vom Klassenfeind nicht reinlegen. Das ist besser als Ficken mit Stalin.«
»Angenommen, sie denkt wirklich so, verrückt genug wäre sie ja, was denkt sie, warum ausgerechnet ich es bin, der Chucky zu ihr geschickt hat? Sie hält mich für ein reaktionäres Arschloch, dem man schon von aller Weite ansieht, auf welcher Seite er steht. Der soll der Kontaktmann zu einem Spitzel sein? Der wäre doch der letzte, den sich der Verfassungsschutz für so eine Aufgabe aussuchen würde!«
»Du hast es immer noch nicht kapiert! Also, hör zu: Sie wird sich hinsetzen und genau überlegen: Was denkt sich dieser Lukasser? Und was denkt sich der, ha? Der denkt sich genau das, was du eben gesagt hast. Der denkt sich, die wird sich denken, der Lukasser ist doch der letzte, den sich der Verfassungsschutz aussuchen würde. Ja, ein Genosse, der nur eine Spur weniger intelligent
Weitere Kostenlose Bücher