Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
kommen.«
    Ich sagte, ich würde gern für sie kochen, aber um Himmels willen keinen turkey. Ich würde gern kochen, wie man in meiner Heimat kocht. Nämlich Rindsrouladen mit Kartoffelpüree und Gelberübengemüse.
    Ich besorgte vier Rindsschnitzel, Frühstücksspeck, Senf, eingelegte Gurken, Zwiebeln, Karotten, mehlige Kartoffeln, Milch, Muskatnuß, zwei Dosen mit Rindsbrühe und eine Flasche herben Weißwein. Ich benötigte dafür einen halben Tag, fuhr sogar nach Manhattan hinüber.
    Am späten Nachmittag wartete Maybelle an der Myrtle Avenue auf mich. Es regnete. Sie stand unter der Markise des Sportartikelladens, der an Gil Clancys Boxclub anschloß und in dessen Schaufenster Punchingballs und Sandsäcke von der Decke hingen; auf einer mannshohen Halterung Gewichte gestapelt und Boxerschuhe in allen Farben neben dazu passenden Boxershorts aufgereiht waren, als Begleitung schepperte Rapmusik aus zwei dünnen Lautsprechern. Auf der Straße war viel los, und ich war hier der einzige Weiße. Maybelle hatte sich ein Cape übergezogen, und als sie mich aus dem Taxi steigen sah, lief sie durch die schmale Gasse, die zum Hintereingang vom Gym führte. Sie wollte nicht, daß mich jemand zusammen mit ihr sah. Ich gebe zu, das ärgerte mich, und deshalb tat ich so, als hätte ich sie nicht gesehen und blieb vor dem Eingang des Clubs stehen, die Plastiktüten mit meinen Einkäufen in den Händen. Die Fenster zur Straße waren zugemauert, die Höhlungen mit Plakaten verklebt, über dem Eingang hing eine gelbe Neonschrift – Gil’s Gym –, sie war ausgeschaltet. Maybelle erschien wieder an der Hauskante und winkte mich hastig zu sich. Sie nahm meine Hand und stöckelte über eine Holzstiege hinauf, die zu einem Anbau auf der Hinterseite des Hauses gehörte. Ich trat in einen Vorraum, der wie ein Puff beleuchtet war, die Wände waren mit Bilderrahmen behängt, einer dicht neben dem anderen, Fotos hingen hier, mir schien, es waren Hunderte, auch Zeitungsausschnitte und Kinderzeichnungen, wie ich mit einem ersten flüchtigen Blick erfaßte.
    »Ich denke, deine Leute sind nicht im Haus«, sagte ich. »Warum tust du so heimlich?«
    »Ich will nicht, daß dich jemand sieht«, sagte sie.
    »Das habe ich gemerkt.«
    »Es ist eben so, mach dir nichts draus.«
    Maybelles Zimmer war eng, und man konnte sich darin nicht bewegen, ohne irgendwo anzustreifen, es war vollgestellt mit Puppen, Bilderrahmen, Kissen und bunten Töpfen verschiedener Größe, aus denen Pflanzen wuchsen, echte und künstliche aus Plastik oder Seide. Unter einem der beiden Fenster stand eine Nähmaschine, darauf waren Stoffreste ausgebreitet und ein mit Bleistift gezeichneter grober Schnittplan und ein Stück weißes Fell. Auch ein Plattenspieler war in dem Zimmer, ein altes Ding mit dem Lautsprecher in der Abdeckung. In einer Ecke, abgeteilt durch einen glasperlenbestückten Vorhang, der nun zur Seite geschoben war, stand ihr Bett. Über dem Tisch in der Mitte des Zimmers lag ein Teppich, auf dem eine Jagdszene wie aus Tausendundeiner Nacht zu sehen war – ein Mann saß auf einem glänzendschwarzen Pferd, er hatte einen Turban um den Kopf gewunden und war eingezwängt in einen goldprunkenden Jagdrock, die Beine steckten in purpurnen Pluderhosen, er hatte einen kurzen Reflexbogen gespannt und zielte mit dem Pfeil auf eine Gazelle, die gerade über einen blütenbesetzten Busch sprang. Mitten in dem Dreieck der gespannten Bogensehne stand ein gezuckerter Marmorkuchen, daneben eine Kanne mit Tee. Maybelle zog sich das Kleid über den Kopf, sie trug darunter keinen BH, nur einen leuchtendweißen Slip.
    »Mir wäre es lieber, wir tun es erst nachher«, sagte ich.
    »Wann nachher?« fragte sie.
    »Nach dem Essen.«
    »Wie du willst«, sagte sie und schlüpfte wieder in ihr Kleid. »Tee auch erst nach dem Essen?«
    »Ich habe nicht gemeint nach dem Essen«, korrigierte ich mich, ich war auf einmal sehr verlegen, »ich meinte nach dem Kochen. Es dauert sicher zwei Stunden, bis das Essen fertig ist.«
    »Gut, nach dem Kochen«, sagte sie.
    Ich folgte ihr über eine Treppe hinunter in die Wohnung ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes. Es roch nach Weihrauch oder irgendwelchen Räucherstäbchen und nach Putzmittel. Die Küche war geräumig und eingerichtet wie bei einer Fernsehfamilie, der Herd rundum zugänglich, davor eine Bar mit drei Hockern. Ich glättete das Fleisch mit einem Löffel, rieb es mit Salz und Pfeffer ein, bestrich es auf einer Seite mit Senf, legte je

Weitere Kostenlose Bücher