Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
zwei Scheiben Speck darüber, rollte eine Zwiebelscheibe, ein Stück Karotte und eine halbe Essiggurke in das Fleisch ein und befestigte es mit einem Zahnstocher. Ich briet die Rollen kurz in Butter an, so daß sie eine braune Kruste bekamen, und legte sie beiseite, zerhackte grob die Reste der Zwiebeln, des Specks, der Karotten und der Gurken, briet sie ebenfalls in der Pfanne, bestäubte sie mit Mehl und löschte mit Wein ab. Schließlich legte ich die Rouladen in einen Topf, goß den Sud mitsamt den Einlagen darüber und füllte mit Suppe auf. Ich schaltete den Herd auf kleinste Flamme.
    Oben in Maybelles Zimmer wollten wir uns die Wartezeit mit Sex vertreiben, aber wir kamen nicht dazu. Es klopfte an die Außentür. Maybelle legte den Finger auf ihre Lippen, trat hinaus auf den Gang und zog die Tür zum Zimmer hinter sich zu. Ich hörte eine Männerstimme und lauschte. Es war unverkennbar die Stimme eines Schwarzen, und wie mir schien, war es eine junge Stimme. Ich verstand höchstens die Hälfte, der Mann sprach verschliffen und durchsetzt mit Slangworten, von denen ich viele nicht kannte. Worum es in diesem Gespräch ging, schloß ich hauptsächlich aus dem, was Maybelle sagte. Und das reimte ich mir zusammen: Der Mann wollte Maybelle besuchen, er meinte, die Gelegenheit sei gut, weil Maybelles Tochter und deren Mann außer Hauses seien; und es bestand auch nicht der geringste Zweifel, warum der Mann Maybelle besuchen wollte. Maybelle sagte, heute sei es nicht günstig, und sie sagte, nein, sie wolle nicht, daß er hereinkomme, auch nicht für eine Minute. Der Mann verfiel in einen weinerlichen Ton, und Maybelle redete auf ihn ein wie auf ein Kind. Eine Weile war es still. Dann hörte ich, wie Maybelle die Außentür abschloß. Er war wohl ohne Gruß gegangen. Sie sagte nicht, wer dieser Mann gewesen war, sie erfand keine Story für mich; sie sagte gar nichts. Und ich fragte nicht.
7
    Zwei Monate nach unserem Ausflug nach Hyde Park – die Bäume auf der Carlton Avenue waren längst schon kahl – brachte mich Maybelle mit dem Ehepaar Sarah Jane und Fabian McKinnon zusammen. Die beiden waren meinetwegen aus Manhattan zum Fort Greene Park gekommen. Wir hätten in ein Café gehen können, es war bereits empfindlich klamm draußen, aber keiner machte den Vorschlag. Die McKinnons arbeiteten an der City University in der Nähe vom Times Square, am Hunter College. Sarah Jane schätzte ich auf Ende Zwanzig, sie sah aus wie eine Frau, die sich erst vor kurzem sehr viel Gewicht abgetrotzt hatte, ihr Kopf war schmal, und ihr Gesicht wirkte hohl, ein Eindruck, der durch die langen, glatten blonden Haare noch verstärkt wurde. Sie hatte ein mädchenhaftes, unregelmäßiges Lächeln, und sie lächelte bei allem, was sie sagte. Sie war Ethnologin. Fabian, ihr Mann, war Musikwissenschaftler. Er wirkte knurrig, sah auch aus wie ein Bär, groß, umfangreich, zottelhaarig, dunkelbärtig. Sie hatten über einen – von Maybelle präparierten – Bekannten erfahren, daß ein Schriftsteller aus Vienna in Brooklyn lebe, der ein exquisiter Kenner der mittel- und osteuropäischen Volksmusik sei und – das hatte ihnen Maybelle persönlich am Telefon erzählt – vorübergehend in Amerika lebe, um ein Buch zu schreiben, in dem er sich vergleichend mit der europäischen und amerikanischen Folklore auseinandersetze. Dieser Schriftsteller war ich. (Nach dem Treffen gestand mir Maybelle: »Das mit dem Vergleich habe ich mir ausgedacht. Was nämlich nichts mit Amerika zu tun hat, interessiert diese Leute nicht.«)
    »Schon viel von Ihnen gehört«, begrüßte mich Fabian und schüttelte mir die Hand. Sarah Jane fragte, ob ich wisse, wer Alan Lomax sei. Ich wußte es nicht. Das verwirrte sie, und beide blickten zu Maybelle hinüber, die aber hatte ihren Voodoo-Blick aufgesetzt.
    »Mr. Lomax hat Großes vor«, erklärte Fabian und sprach dabei durch die geschlossenen Zähne, bedachtsam und sacht, als handelte es sich um etwas außerordentlich Gefährliches – top secret . »Eine weltweite Sammlung von Folkmusic. Von Vietnam bis Togo, von Sibirien bis Sizilien, von Feuerland bis Grönland, von Spanien bis Cuba. Die Rockefeller Foundation hat ihre Zuwendungen für dieses Projekt deutlich erhöht, beinahe ver-dop-pelt. Im nächsten Jahr wird Alan die schon lange angekündigte Gründung der Association for Cultural Equity endlich realisieren können. Das aber bedeutet für uns: Wir brauchen Leute. Und zwar: nicht nur Bürger der Vereinigten

Weitere Kostenlose Bücher