Abendland
in Richtung Times Square, fest entschlossen, mich nie wieder der Versuchung auszusetzen, meinen Namen mit den zwei akademischen Ehrenbuchstaben und dem Punkt zu schmücken.) Nachdem er in die USA zurückgekehrt war, führte Alan Lomax seine Sammlertätigkeit bei der Library of Congress fort, nun allerdings als freier Korrespondent. Es gelang ihm, die Verantwortlichen bei Columbia Records zu überreden, eine Plattenreihe mit amerikanischer Folkmusic zu starten. Die Reihe sollte der Beginn einer gigantischen Sammlung von Volksmusik aus aller Welt sein, der inzwischen von ihm so genannten Global Jukebox – ein nachgerade abstruses Unternehmen, wie er selbst meinte.
Die Stärke von Mr. Lomax war seine Begeisterung, und die brannte, als wäre sie an die Sonne selbst angeschlossen. Er war der Mittelpunkt, er war Mr. Folk; wenn er in New York war, sprach sich das schnell herum, die Leute drängten sich in den Gängen des ACE, berühmte Männer und Frauen darunter – Izzy Young vom Folklore Center, die Sängerin Maria Muldaur mit ihrem Lockenkopf wie ein französischer König, der Folkmanager und Konzertpromoter Harold Leventhal, auch Tuli Kupferberg bildete ich mir ein gesehen zu haben. Ich habe Alan Lomax nur einmal getroffen, und unsere Begegnung war sehr kurz. Er kam ins Büro, wo ich gerade saß und auf Fabian wartete – ein großer, massiger Mann mit einem Knebelbart und schweren, hängenden Schultern. Er schüttelte mir herzlich die Hand. Natürlich hatte er keine Ahnung, wer ich war und was ich hier tat, und als ich ihm erklärte, ich sei derjenige, der die Kurzgeschichten über Musikanten aus aller Welt schreibe, sagte er: »Das ist wunderbar! Ich hoffe, wir können Sie für unsere Arbeit gewinnen!« Da hatte ich bereits zwei Monate lang Geld vom ACE bekommen (das Institut streckte mir das Geld vor und kassierte bei den Zeitungen). Ich erzählte ihm, daß mein Großvater in Wien ein berühmter Folksänger gewesen sei – »Schrammelmusic«. Bei dem Wort hob er die Brauen. »Stadtfolklore«, sagte er, »ich weiß. Gibt es sonst nur noch in Lissabon. Der Fado. Die Ghirardo-Brüder haben Massen von Bändern aus Portugal mitgebracht, sie stellen gerade eine Auswahl für eine Platte zusammen. Kennen Sie die Ghirardo-Brüder?« »Nein«, sagte ich. »Lassen Sie sich ihre Telefonnummer geben! Ich hoffe, Sie besorgen uns Kopien von Aufnahmen Ihres Großvaters!« Er zeigte mir die Faust, als wäre er auf dem Weg zu einer Versammlung der Black Panthers, und schon war er hinaus zur Tür.
4
Ich hatte mir eine Reihe von Musikerpaaren, dazu Kommentare in mein Notizbuch geschrieben. Ich lese darin:
Django Reinhardt und Jimi Hendrix – bei D.R. die Geschichte von seiner Frau, die ihn vom Wohnwagen durch den Schlamm zur Straße trägt, damit seine zweifarbigen Schuhe nicht schmutzig werden. Bei J.H. erfinden: z.B. wie er während eines Konzerts allein mit seinem Gitarrenspiel ein Mädchen aufgerissen hat … oder etwas Ähnliches … Freundschaft mit Eric Burdon … oder geplante Zusammenarbeit mit Miles Davis … oder etwas Privates … indianische Mutter, wenn das stimmt … Cochise und J.H. … das Apachenhafte in seiner Musik …
Duke Ellington und Johann Strauß – wie Volksmusik vergöttlicht wird … ein Zusammentreffen der beiden? J. St. in Amerika, der junge Duke … geht sich das aus?
Hank Williams – der »Shakespeare der kleinen Leute« – und Johann und Josef Schrammel – das Weinerliche als große Kunst betrachtet (In das Porträt der Schrammelbrüder wollte ich die Geschichte über meinen Großvater Martin Lukasser einflechten, die ich bereits geschrieben hatte.)
Niccoló Paganini und Robert Johnson – Teufelspakt! (Die beiden waren mein Lieblingspaar; ich wollte den jeweils einen in der Geschichte des jeweils anderen auftreten lassen, als paranoide Stimme im Kopf.)
Über den anonymen Komponisten der Marseillaise auf der einen und Townes Van Zandt und den indianischen Songwriter Peter La Farge auf der anderen Seite – Musik als ein politisches Argument von unten (Auf die beiden letzteren hatte mich Peter St. Paul in dem Studentenhotel in Greenwich Village aufmerksam gemacht. Immer wieder spielte und sang er mir Van Zandts Version von La Farges Lied über den Indianer Ira Hayes vor, der zusammen mit fünf anderen Marines 1944 im Pazifikkrieg auf der Insel Iwo Jima die US-Flagge gehißt hatte und dabei fotografiert worden war – ein Bild, das die Vorlage für die größte Bronzestatue der Welt wurde
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