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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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vom DMAD, warum wäre er, ein Zivilist, sonst wohl hier. »Und worin«, fragte Carl, »bestehen Ihre Befehle, falls irgend etwas nicht mit rechten Dinge zugeht?« Die Frage gab Sergeant Cousins die militärische Selbstsicherheit zurück, die er vor diesem hochgeschossenen Mann in dem lässigen hellen Sommeranzug, der angeblich als einer der crackpots bei der Herstellung der beiden Wunderbomben beteiligt gewesen war, immer wieder einbüßte. Er straffte sein Rückgrat, ließ Augenbrauen und Mundwinkel in ihre gewohnten unerschütterlichen Positionen schnellen und sagte: »Darüber Auskunft zu geben bin ich nicht befugt, Sir. Aber die Kontrolle über diesen Mann untersteht mir. Vergessen Sie das bitte nicht.« Er ließ sich von Carl unterschreiben, daß er Makoto Kurabashi zur Begutachtung übernommen habe – für drei Stunden. Carl ärgerte sich, vor allem weil ihm nicht die geringste Notwendigkeit zu bestehen schien, daß der Sergeant so einen schnarrenden Ton anschlug; und als er mit dem jungen Japaner, der nichts weiter als ein Unterhemd und eine Hose am Leib trug, allein war, entschuldigte er sich für Cousins’ Verhalten: Soldaten seien eben so, amerikanische genauso wie japanische; er selbst habe deshalb nie auch nur den Gedanken gehabt, einer zu werden.
    Dies war geschehen am 8. September 1945 – sechs Tage nach der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch Außenminister Shigemetsu Mamoru und General Umezo Yoshijiro; dreißig Tage nach dem Abwurf einer Plutoniumbombe auf Nagasaki; dreiunddreißig Tage nach dem Abwurf einer Uranbombe auf Hiroshima.
    Wie Frau Mungenast vorausgesagt hatte, war es wärmer geworden. Der Föhn allerdings war ausgeblieben; die Gerüche, die in der Nacht über das Stoppelfeld auf das Haus zugetrieben waren, hatten mein Herz mit so viel euphorischer Wehmut erfüllt, daß alle Sorgen um meine Gesundheit und mein weiteres Leben zerstoben und ich mich am Morgen in hoher Stimmung fühlte, obwohl draußen leichter Regen fiel und ein eher düsterer Tag bevorstand. Ich hatte lange geschlafen, Frau Mungenast und Carl erwarteten mich bei gedecktem Frühstückstisch. Als ich im Morgenmantel das Wohnzimmer betrat, streckte mir Carl seine dünnen Arme aus dem Rollstuhl entgegen.
    »Verzeih mir«, sagte er, »bitte, Sebastian, verzeih mir meine gräßliche Laune gestern!« Wir umarmten einander; ich spürte seine zitternde Hand über meinen Hinterkopf streichen, als suche sie in meinen Haaren nach etwas. Seine Stimme war noch ein wenig schleppend infolge des Morphiumpflasters, das ihm in der Nacht frisch aufgelegt worden war. »Wenn dich Frau Mungenast nicht im Hotel Central abgeholt hätte«, fragte er, »was hättest du unternommen?«
    »Was hätte ich schon unternommen«, lächelte ich verlegen. »Ich hätte in Innsbruck unten Semmeln eingekauft, hätte mir ein Taxi genommen und wäre rechtzeitig zum Frühstück hier gewesen. Wohin hätte ich denn sonst gehen sollen?«
    »Genau das war meine Meinung«, sagte Frau Mungenast und begann, die Semmeln, die sie besorgt hatte, aufzuschneiden und mit Butter zu bestreichen.
    Nachdem sie Carl in der Nacht ins Bett gebracht hatte, waren wir noch lange in der Küche gesessen. Sie hatte ein weinrotes Kostüm getragen, das gut auf ihre Figur geschnitten war und sich vorteilhaft in ihre resoluten Bewegungen fügte. Das Rot ihrer Haare biß sich ein wenig mit der Farbe ihres Kostüms. Ihr Mund war mir etwas zu auffällig geschminkt erschienen, auch die Augen, aber vielleicht kam mir das nur so vor, weil sie während ihrer Arbeit ungeschminkt war. Sie erzählte von sich. Daß sie geschieden sei, schon seit fast zwanzig Jahren, daß ihr Mann längst wieder verheiratet sei, daß sie sich manchmal sähen, er lebe in Innsbruck, auch mit seiner Frau habe sie Kontakt, deren Kinder sagen »Tante« zu ihr, was sie gar nicht störe, zwei Mädchen, achtzehn und sechzehn, leider beide fett; daß sie es seither erst einmal wieder mit Heiraten probieren wollte, mit einem Mann, der allerdings so viel geschäftliches Unglück gehabt habe, daß sie sich schließlich von ihm trennte, und zwar mit dem glücklichen Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein; daß sie eine Tochter und einen Sohn habe; die Tochter lebe als Anästhesistin in Salzburg, sei verheiratet, aber kinderlos, wolle auch keine Kinder, ihr Mann auch nicht, er besitze eine Apotheke und ein Labor in der Stadt, ein geldgieriger Zyniker, der seine Frau betrüge, Mitglied der ÖVP sei und im Gemeinderat

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