Abendland
gemessen, was es zu messen gibt, mit ihren Geigerzählern und ihren Röntgengeräten, ihren Marinellibechern und Szintillationszählern, ihren Dosimetern und Rariometern und womit sonst noch, denen könne die Army das nicht verwehren – ›Ist ja schließlich ihr Boden!‹ –, und sicher würde man bald gut mit denen zusammenarbeiten. Sollte ich derweil – diese Bitte habe er an mich weiterzuleiten – die Stadt Tokio mit meinen Leuten untersuchen. Die Stadt Tokio? Dort gab es nichts zu untersuchen. Es interessierte sich auch niemand mehr für die Untersuchungsergebnisse des Department of Measuring and Analysis of Destruction und bestimmt nicht für die Ergebnisse der Vermessung und Analyse der konventionellen Zerstörung. Es wäre gewesen, als würde der Gast nach einem scheußlichen Essen Rechtschreibfehler auf der Speisekarte kritisieren wollen. – Und nun saß also dieser Junge vor mir, ao-otoko , wie die Japaner sagen: ein unreifer junger Mann. In Hemd und Hose. Barfuß. Und grinste gutgelaunt. Wie man nur grinsen kann, wenn man nichts im Rücken, aber alles vor der Stirn hat. Er wollte, daß ich mein Geld auf ihn wette. Einen Dollar, wenn er sich sechs fünfzehnstellige Zahlen merken könne. Ich habe ihm zehn Dollar gegeben. Dafür wollte ich mich mit ihm unterhalten. Wir saßen im Bauch der C-47 und rauchten und redeten über Zahlen. Die Einstiegsklappen standen offen, damit die Luft durchziehen konnte. Dennoch war es unerträglich heiß. Ich besaß eine Schachtel in der Größe eines Koffers voll mit Maiskeksen von Billings & Co., die waren mir zugeteilt worden für meine Abteilung, aber keiner meiner Kollegen mochte die handtellergroßen gelben Taler, ich auch nicht. Makoto aber mochte sie. Die Kekse machten Durst. Er trank dazu Coca Cola. Das machte ebenfalls Durst. Er trank dazu Wasser, das wir abgekocht hatten. Dieser Bursche war fasziniert von Zahlenreihen. Er wolle mir für meine zehn Dollar etwas vorführen, sagte er. Wie viele Möglichkeiten gibt es, fünf Kekse auf verschiedene Haufen zu verteilen – wobei bereits ein Keks für sich als ein Haufen gilt? Es gibt sieben Möglichkeiten. Erstens: fünf Haufen zu je einem Keks. Zweitens: Drei Haufen zu je einem, ein Haufen zu je zwei Keksen. Drittens: Zwei Haufen zu je zwei Keksen, ein Haufen zu je einem. Viertens: Ein Haufen zu je drei Keksen, zwei Haufen zu je einem. Fünftens: Ein Haufen zu je drei und einer zu je zwei Keksen. Sechstens: Ein Haufen mit vier Keksen, ein Haufen mit einem Keks. Schließlich siebtens: Ein Haufen zu fünf Keksen. Man nennt das die Partitionen einer Zahl, in diesem Fall der Zahl 5. Die Anzahl der Partitionen für die Zahlen von 1 bis 15 ergibt folgende Zahlenreihe: 1 läßt sich in 1 zerlegen; 2 in 2; 3 in 3; 4 in 5; 5 in 7; 6 in 11; 7 in 15; 8 in 22; 9 in 30; 10 in 42; 11 in 56; 12 in 77; 13 in 101; 14 in 135; 15 in 176. So, und nun die Vorführung: Er habe, behauptete er, eine Formel gefunden, mit deren Hilfe sich berechnen ließe, wie viele Partitionen es bei jeder beliebigen Zahl gebe. Für zwanzig Dollar verrate er sie mir. Ich muß sagen, ich war fassungslos. Nicht, weil ich glaubte, er habe so eine Formel gefunden, das wäre eine mathematische Weltsensation ersten Ranges gewesen; schon eher staunte ich, weil dieser verdreckte, streunende, komische junge Mann über die einschlägige Terminologie verfügte; am meisten aber überraschte mich seine nahezu traumwandlerische Fähigkeit, Zahlen in den verschiedensten Darstellungen zu denken. Zum Beispiel, wenn er anstatt 2, scheinbar ohne zu überlegen, als habe er einfach einen Schalter umgelegt, 1 durch 2 hoch minus 1 schrieb. Oder ein anderes Beispiel – eine nun tatsächlich mysteriöse Begebenheit, die sich drei Wochen nach unserer ersten Begegnung zutrug: Ich lud ihn zu einem Gottesdienst für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki ein, den die Army auf dem Gelände von Atsugi organisiert hatte und zu dem extra ein Chor und ein Orchester aus den Staaten eingeflogen worden waren. Es wurde die Matthäuspassion von Bach aufgeführt. Makoto hatte solche Musik noch nie gehört, er war verzaubert und lachte und hüpfte auf dem Nachhauseweg über die Rollbahn vor mir her. Ich sagte, diese Musik sei eigentlich traurig. Ich erzählte ihm von Johann Sebastian Bach und erwähnte, daß er das Stück im Jahr 1729 komponiert habe (was ich auch nur zufällig wußte und womit ich, zugegeben, prahlen wollte, ich befand mich damals nämlich in Konkurrenz zu Sergeant Cousins, was die
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