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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Werkzeugkiste, Carl auf dem Mittelstück einer Fallschirmspringerbank, die einer der Soldaten mit dem Schweißbrenner in drei Teile zerschnitten hatte, damit in jedem der provisorischen »Büros« des DMAD eine Sitzgelegenheit stünde –, fragte ihn Carl, was er weiter vorhabe, wo er zum Beispiel die heutige Nacht verbringe. Makoto hob die Arme und drehte sich, ohne sich von seiner Sitzgelegenheit zu erheben, um die eigene Achse, was genauso Himmel wie Erde heißen konnte oder einfach nur: Ich weiß es nicht. Carls Kollegen, die mit ihm das Büro teilten, Captain Hersh und First Lieutenant Zoreg (nach der Kapitulation Deutschlands waren beide am ALSOS-Einsatz beteiligt gewesen, dessen Ziel es war, herauszufinden, wo die Atomforschung der Nazis am Ende tatsächlich gestanden hatte – nämlich, verglichen mit dem Manhattan Project, noch nicht einmal in den Kinderschuhen: in einem Bierkeller in Haigerloch), hatten sich am Nachmittag freigenommen – was einfach nur hieß, daß sie, anstatt an diesem Ende des Flugplatzes, an einem anderen Ende herumsaßen; zu tun gab es dort genausowenig wie hier, aber es war mehr los. Wären sie zusammen mit Carl in der Maschine gewesen, als Sergeant Cousins Makoto Kurabashi brachte, das Gespräch hätte in anderer Form stattgefunden; nicht unbedingt gleich als ein Verhör, aber gewiß nicht als Rätselraten über die mögliche Anzahl von Haufen aus fünf realen beziehungsweise beliebig vielen fiktiven Maiskeksen der Firma Billings & Co. Was wäre mit Makoto Kurabashi geschehen? Sergeant Cousins hätte ihn nach der vereinbarten Zeit abgeholt, hätte ihn wahrscheinlich in den nächsten Tagen Soldaten mitgegeben, die ihn irgendwo in der Stadt – soweit man dieses Brandfeld überhaupt noch so nennen konnte – ausgesetzt hätten. Und weiter?
    Carl bat Makoto, einen Augenblick zu warten, er solle die Maschine unter keinen Umständen verlassen, er werde gleich wieder hier sein. Ein herumstreunender Japaner auf dem Fluggelände bei einbrechender Dunkelheit – man hätte Wetten abschließen können, wie lange der noch zu leben hatte. Das DMAD war an der äußersten nordwestlichen Ecke von Atsugi untergebracht, nämlich auf dem Platz, der als Reparaturwerkstätte für beschädigte Flugzeuge reserviert war. Carl lief über die Betonplatten zu den provisorisch aufgestellten Baracken, die den hier diensttuenden Soldaten und Offizieren als Quartier dienten. Er traf Master Sergeant Cousins an, als der in der Unterhose auf seiner Pritsche saß und sich über einem nierenförmigen Rasierbecken die Zähne putzte.
    »Ich muß mit Ihnen sprechen«, sagte er.
    Auf dem Weg zurück zum Büro erklärte Carl dem Sergeant, daß er sich bemühen wolle, diesen jungen Japaner zu adoptieren, und daß er ihn bitte, ihm dabei behilflich zu sein. Darauf reagierte Cousins mit einem Geräusch aus Seufzer, Husten und Aufschrei, und weil er in Laufschritt verfallen war, um dem verrückten Professor, der einen guten Kopf größer war als er, folgen zu können, lief er nun noch schneller, überholte Carl sogar, als gelte es, den Burschen, der in dem dunklen Riesenvogel am Ende der Piste wartete, vor ihm zu beschützen.
    »Wie denken Sie sich das!« rief er aus. »So etwas hat es noch nie gegeben. Es müßten neue Gesetze erfunden werden!«
    »Ebendarum wird es möglich sein«, sagte Carl.
    Etwas abseits arbeitete ein Mechanikertrupp an einer B-29, deren Wanst über die Flanke aufgerissen war. Ihre Schweißbrenner zuckten und sprühten vor dem letzten Licht des Tages. Radiomusik klang dünn herüber.
    Als sie vor der C-47 angekommen waren, hielt Carl den Sergeant am Arm fest. »Ich habe keinen Witz gemacht«, sagte er, dabei jedes Wort betonend.
    Sie sahen durch die große Ausstiegsluke ins Innere des Flugzeugs. Von der Decke herab hing eine Glühbirne, die mit einer Schnur ein- und ausgeschaltet werden konnte. Sie warf einen grellen Lichtkegel. Es wäre leichtfertig gewesen, Makoto im Dunkeln sitzen zu lassen; wenn ein Soldat vorbeigekommen wäre, der nichts Deutliches gesehen, nur Undeutliches gehört hätte und dem auf Anruf nicht die richtige Antwort gegeben worden wäre – das hätte ebenfalls schlecht ausgehen können. Sie sahen Makoto aufrecht auf der Kiste sitzen, die Hände auf den Oberschenkeln – so, wie Carl ihn verlassen hatte. Sein Kopf bewegte sich kaum merklich in Achterschleifen.
    »Er ist ein außergewöhnlicher junger Mann«, flüsterte Carl dem Sergeant zu. »Und wir, ja, wir beide sind in einer

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