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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Leder gerahmt. Portugiesisch prächtig. Aufgenommen vor der Kirche Santa Cruz in Coimbra. Sie würde meine Frau gern kennenlernen, sagte sie. Ich sagte, sie solle uns doch einmal in Lissabon besuchen, eine edle Stadt, wie für sie erbaut, sagte ich, ein Rahmen für meine Mutter. Sie sagte, das würde sie gern tun. Aber etwas Konkretes haben wir nicht vereinbart. Sie war immer noch eine sehr, sehr schöne Frau. Später war ich noch einmal in Wien gewesen, 1937 im Herbst, wenn ich mich nicht irre, aber da hatte sie eine Freundin in der Wachau besucht, und ich dachte, ich werde ja bald wiederkommen, oder sie wird zu Margarida und mir nach Lissabon kommen, sonst wäre ich doch hinausgefahren, ich hätte mir Großvaters Ford ausgeborgt und wäre hinausgefahren in die Wachau. Stell dir vor, ich wäre hinausgefahren – vielleicht hätte sich ja eine Gelegenheit ergeben, mit ihr allein einen langen Spaziergang zu machen – so wie du mit deiner Mutter einen langen Spaziergang gemacht hast nach dem Tod deines Vaters, Sebastian, das habe ich gern gehört, als du mir das erzählt hast. Ich habe mir manchmal ein Picknick vorgeträumt, meine Mutter und ich, nur wir beide, so allein, wie wir in Meran gewesen waren. Ein Picknick, als säßen wir beide in einem Gemälde von Renoir. Um mein bissiges Gewissen zu beruhigen, habe ich mir solche Szenen ausgedacht. Nur schöne Dinge, ein Picknickkorb mit holländischem Blaurandgeschirr und Besteck mit Ebenholzgriffen, ein Damasttischtuch, das wir über den Boden breiten, eine Flasche burgenländischen Weißen, einen Marillenschnaps, feine Kleider, feine Stoffe. Und alles falsch. Sie hätte gesagt: Was schleppst du dich mit diesen Dingen? Was ziehst du die guten Hosen an, wenn’s in den Wald gehen soll? Und Wein! Willst du saufen oder wandern? Ihr hätten ein Apfel und ein Ronken Schwarzbrot genügt. Aber dem Bild, das ich von ihr hatte, dem genügte eine solche frugale Ausstattung eben nicht. Warum hatten wir alle nur so ein süßes Bild von ihr?
    Am Abend des 10. September 1944 ist sie gestorben. Es war der erste Großangriff der alliierten Luftstreitkräfte auf Wien. Sie war gerade sechsundfünfzig Jahre alt geworden. Sah aus wie sechsundvierzig. Konnte sich herrichten wie sechsunddreißig. Und hatte ein Stimmchen wie eine Sechsundzwanzigjährige. Sagte Valerie, und ich glaubte ihr. Meine Mutter hat es verstanden, ihr Leben lang nicht arbeiten zu müssen. – Bis auf einmal, als sie eine Woche lang im Bristol vor orientalischen Prinzen Kleider vorführte, die selbstverständlich – so die Familienlegende – allesamt für den Harem angeschafft worden seien. Für diese Tätigkeit bekam sie so viel Geld, daß sie sich dafür ihren Hoffmann-Sekretär leisten konnte. – Ihr Nichtstun war für meinen Großvater das Ärgernis Nummer eins. Aber das monatliche Salär hat er nie ausgesetzt. Das hätte meine Großmutter auch nicht zugelassen. Komplementär zu ihrem Frauenrechtlertum und ihren egalitären republikanischen Anschauungen verehrte meine Großmutter nämlich die Schönheit als etwas Heiliges, vor dem das praktische Leben gefälligst den Hut zu ziehen habe. Wer meine Mutter nur oberflächlich kannte, hatte wahrscheinlich einen falschen Eindruck von ihr. Daß sie überaus anspruchsvoll sei, zum Beispiel. Ihre Haltung, ihre Art zu gehen! Oder wenn sie den Kopf bewegte, um jemandem zuzuhören, der neben ihr stand! Das hatte Klasse! Eleganz! Und es verriet Esprit. Es war einfach schön. Und weil zunächst niemand glauben will, daß ein solcher Adel aus einer Bevorzugung, einer Erwähltheit, eben aus der Natur selbst erwachse, vermutet man Dressur dahinter. Meine Mutter war eine Träumerin, aber ihre Wünsche und Erwartungen waren durchaus bescheiden. Sie wollte von allem das Beste, das schon, davon aber nicht viel. Sie besaß nur wenige Kleider, nur wenige Paar Schuhe, einen Mantel für den Winter, einen für die Übergangszeit. Und alles sah aus wie für sie allein geschustert und geschneidert. Sie hatte einen schmalen Kopf, sehr feine Gesichtszüge und einen schlanken, hochgewachsenen Körper. Und wundervoll wohlgeformte, wenn auch etwas zu große Hände. Eine Stimme hatte sie voll Melancholie und Sanftmut. Und eine sehr weiße Haut, makellos. Und eine Fülle blonden Haares, das sie tragen konnte, wie sie wollte, weil es sich allen Wünschen und Moden anpaßte. Sie war naiv. Ich meine damit: Sie dachte nicht über sich selbst nach. Über ein noch so kleines Kompliment konnte sie sich

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