Abendland
meine kleine Arbeit verrichtet. Vor Weihnachten, vor Ostern oder während der Ballsaison sind die Leute bis auf die Straße hinaus angestanden. Bestellungen gab es bis von Graz herauf. Das glaubst du vielleicht nicht, aber wenn damals einer aus der Provinz nach Wien kam, und angenommen, er hätte nicht mehr als fünf Geschäfte hier gekannt, so wären Báránys Feinkost- und Kolonialwaren gewiß dabeigewesen – natürlich E. Braun & Co. am Graben, höchstwahrscheinlich das Pelzgeschäft Liska am Hohen Markt, sicher das Tuchhaus Wilhelm Jungmann hinter der Oper, ohne Zweifel Augarten Porzellan am Stock-im-Eisen-Platz, auf jeden Fall aber der Bárány in der Wollzeile.
Meine Mutter ist mit ihren Eltern nie zurechtgekommen. Sie stieß beim Sprechen mit der Zunge an, lispelte ein wenig, was sie noch reizender erscheinen, noch zarter wirken ließ. Meinen Großvater störte das, es war ein Manko, und es kam vor, daß er mit der Gabel auf den Tisch schlug und sagte: ›Wie heißt das?‹ Da war sie dreißig gewesen! Nun wohnte sie allein. Zwei gemütlich eingerichtete Zimmer waren das. Und das beste: eine große Küche mit einem weinroten Sofa darin und einem Berg von bunten Kissen darauf, mit spinnwebfeinen Vorhängen aus Florentiner Taft an den Fenstern, butterblumengelb, die man nur zuziehen mußte, um sich einzubilden, es scheine die Sonne. Und einem Kräuterbalkon, auf dem der Schnittlauch zu kleinen lila Blütenkugeln austrieb und auf den sie manchmal abends hinaustrat und den Tauben zuschaute, die ihr Gefieder schüttelten, als ob sie den Tag von sich abstreiften. Auch ein modernes Badezimmer mit gasbetriebenem Warmwasseraufbereiter gehörte zu der Wohnung und eine Badewanne wie ein Möbelstück mit Löwenpranken als Füße. Hat alles mein Großvater bezahlt. In der Nähe vom Margaretenplatz war ihre Wohnung, im fünften Bezirk, Blick in einen weitläufigen, efeuüberwucherten Innenhof, in dem ein Pferdestall und ein Hufschmied waren. Ich habe sie nur selten besucht, manchmal übernachtete ich bei ihr. Gerüchte mutmaßten, sie habe immer wieder Liebhaber gehabt. Ja, das hatte sie.
Sie besaß ein sündteures Grammophon, irgend jemand hatte es ihr irgendwann geschenkt. Als ich Mitte der dreißiger Jahre in New York war, habe ich ihr ein Paket Schellacks mitgebracht – einen Stapel mit leichtem Zeug von Tommy Dorsey und Jimmie Lunceford, aber auch Fletcher Henderson, Louis Armstrong and The Hot Fife, Earl Hines und natürlich von Duke Ellington. Wir haben zu dritt in der Küche miteinander getanzt, sie, Valerie im bodenlangen Nachthemd und ich, später hat sie uns ein Nachtmahl zubereitet aus feiner Zungenwurst und Schinken und Eingelegtem, alles hübsch arrangiert auf einer spiegelnden Platte, umrundet von petersiliegeschmückten Eierhälften. Das war ein schöner Abend. Honigkerzen. Dieser lichthungrige schwarze Punkt in ihren Augen. Es stimmte mich ein wenig traurig, als ich merkte, wie glücklich sie war, mich zu sehen. Näher sind wir beide uns nie gekommen.
Anfang der zwanziger Jahre hatte sie Valeries Vater kennengelernt und ihn in Torschlußpanik, wie sie später selbst sagte, geheiratet. Ich weiß gar nicht so recht, welchen Beruf er ausgeübt, womit er sich sein Geld verdient hatte, einmal hieß es, er sei technischer Zeichner in einem Architekturbüro in der Josephstadt gewesen, dann hieß es, er habe in einer Feuerzeugfabrik in Neuwaldegg gearbeitet, meine Großmutter behauptete, er sei Lehrer in einem Realgymnasium in Hernals gewesen. Vielleicht war er ja alles zusammen und noch viel mehr. Valerie wollte über ihren Vater gar nichts wissen, und sie wußte auch nichts über ihn. – Wir sind doch ein komisches Paar, Valerie und ich, nicht? Hatten beide nie einen Vater, sind nur halbe Geschwister und wissen voneinander so gut wie nichts. Sie war klein, neben mir jedenfalls, etwas stämmig auch, hatte unser blondes Haar, aber von der Schönheit unserer Mutter war nicht viel, das muß ich leider sagen. Alles an ihr sah rotgescheuert aus, verfroren oder zu heftig geschrubbt, zuviel Rot, die Augen rotgerändert, der Mund zu rot, wie bei unserem Großvater, kein schönes Rot allerdings, entzündet, ungesund. Und schnelle Bewegungen, keine Spur von dem Somnambulen unserer Mutter. Aber charmant konnte sie sein, pfiffig. Sie hatte vor niemandem Respekt. Ein paarmal haben wir gemeinsam den Embassy Club besucht, auch andere Clubs. In meiner Begleitung hat man sie in den Embassy hineingelassen. Aus dem wenigen
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