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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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einen Tag lang freuen. Einmal spazierten wir durch den Volksgarten, im Frühling, und viele Menschen waren unterwegs. Ein Mann kam auf uns zu und sagte zu ihr: ›Ich kenne Sie. Sie sind die schönste Frau von Wien.‹ Meine Mutter wurde rot im Gesicht und stammelte: ›Sie müssen das nicht sagen‹ und meinte damit, es sei nicht notwendig, so zu übertreiben. Aber der Mann hatte ja nur ausgesprochen, was jeder bei sich dachte. Meine Mutter nahm mich an der Hand und zog mich fort. Und alle blickten uns nach. Aber vorne beim Burgtheater hüpfte sie vor Freude und fragte mich immer wieder: ›Was hat er gesagt? Was hat er genau gesagt?‹, und ich mußte es wiederholen: ›Du bist die schönste Frau von Wien.‹ Manchmal kann die Wirklichkeit mehr schmeicheln als jede Illusion.
    Vor Weihnachten half sie in unserem Geschäft in der Wollzeile aus. Alle wünschten, nur von ihr bedient zu werden. Jedenfalls alle Herren. ›Wenn die Frau Charlotte bedient‹, sagte der Geschäftsführer, ›unser Herr Papuschek‹, wie ihn mein Großvater nannte, einer von denen, die in sie verliebt waren, ›brauchen wir von allem das Doppelte.‹ Ja, das Doppelte! Das Doppelte von den selbstgeschöpften Kognakpralinen, den selbstgeschöpften Ingwerpralinen, von den Nürnberger Elisenlebkuchen, den Aachener Printen, dem ungarischen Nougat und Marzipan; die doppelte Menge vom Slibowitz, vom Barack, dem guten aus Kumanien, vom Himbeergeist und Williamsbirn, von dem schottischen Whisky und dem irischen Whiskey, von dem Port aus Porto, dem Sherry aus Jerez de la Frontera, von den Coburger Bratwürsten in Dosen, dem unübertroffenen Serranoschinken und der italienischen Fioccosalami, die raffinierterweise wie ein Schinken geformt war; von dem goldgrünen Olivenöl aus Kreta, dem Kaviar von der Krim, den eingelegten Senfgurken mit Weichselblatt – hergestellt von einer ›echten Hausfrau aus Franken‹, die sich nach dem Tod ihres Mannes damit ihr Geld verdiente, was auf einem kleinen Faltkarton stand, der mit einem Spagatschnürl am Glas befestigt war –; das Doppelte vom Sirup und der Marmelade aus der Steiermark und dem Bergkäse aus dem Bregenzerwald; das Doppelte von den gut zwanzig Teesorten aus Ceylon, Rußland, Indien und China, nach denen zwanzig Meter auf und zwanzig Meter ab die Gasse duftete; und nicht zuletzt das Doppelte von dem schreiend teuren Kaffee aus Jamaika, dem sogenannten ›Violetten‹, den unsere Kunden nicht ohne ein verschämtes Grinsen kauften, als würden sie wissend eine Sünde begehen, der aber, wie ich erst später erfuhr, gar nicht aus Jamaika stammte, sondern wie fast alle unsere Kaffeesorten aus Brasilien. Oder die Schokolade! Die haben wir selber gegossen. Es gab noch andere Kakao- und Schokoladeerzeuger in Wien – Josef Küfferle, die Gebrüder Kunz, Josef Manner oder die Brüder Heller –, die warben damit, daß sie Verfahren entwickelt hätten, dieses Luxusprodukt so billig zu erzeugen, daß es sich auch die armen Schichten leisten konnten. Mein Großvater, der alte Seelenfuchs, sagte, nein, wer will schon zu den armen Schichten gehören. Seine Werbung war hoffärtig, frei nach dem Motto: Wer es sich nicht leisten kann, der kriegt meine Schokolade nicht. In Wahrheit war seine Schokolade nur ein klein wenig teurer als die der Konkurrenz, aber mit diesem Kleinwenig – so referierte er am Mittagstisch – kaufe sich der Kunde in die höhere Schicht ein, er dürfe sich schmeicheln, er trinke und esse nicht, was die Proleten trinken und essen, sondern das gleiche, was man in der feinen Gesellschaft genießt. Die Angestellten im Geschäft waren angewiesen, die Kundschaft in ›Fachgespräche‹ zu verwickeln. Dabei sollten sie, möglichst selbstverständlich und nebenbei, Sortennamen wie ›Criollo‹ oder ›Trinitario‹ einflechten und auch Ausdrücke aus der Verarbeitung, wie ›Conchieren‹, damit der Kunde den Eindruck gewinne, hier habe er es mit Fachleuten zu tun, und zwar mit Fachleuten, die ihn für einen Kenner hielten, dem man nie und nimmer eine schlechte Schokolade, also eine billige, verkaufen würde. Ich habe auch gelegentlich im Geschäft mitgeholfen, als Bub. Und wie gern! Noch heute träume ich manchmal davon! Ich bin direkt von der Schule ins Geschäft gelaufen, war ja nur ein Katzensprung von der Hegelgasse in die Wollzeile. ›Womit kann ich dienen?‹ Grüne Schürze, grünes Käppi, weiße Handschuhe. Habe mich selig eingefügt und in choreographischer Harmonie mit den Angestellten

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