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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Boxeraufstands in China bestätigt. Seine Methode charakterisierte er selbst so: »Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst Grausamkeit auszuüben war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut.« (Zitiert bei H. Leopold)
    Als von Trotha mit den Kämpfern der Herero in ersten offenen Kontakt geriet, befehligte er zwanzigtausend Mann. Die Truppe war mit Panzerzügen, Geschützen, Maxim-Maschinengewehren und den neuesten Nachrichteninstrumenten ausgerüstet; die Herero hatten dem einige hundert Gewehre, knappe Munition, Speere, Lanzen und Pfeil und Bogen entgegenzusetzen. Dennoch gelang es von Trotha lange nicht, den Feind substantiell zu schwächen; im Gegenteil, es schien, als würden seine Truppen von ihm an der Nase herumgeführt. Tagsüber war nicht ein Schwarzer zu sehen; die wenigen Hütten, die die Aufständischen nicht selbst abgebrannt hatten, waren leer; die Spurenleser – die meisten vom Stamm der Nama, dessen Anführer damals noch glaubte, ein Bündnis mit dem Deutschen Reich werde in Zukunft Vorteil bringen – mußten zugeben, daß sie ständig in die Irre geführt wurden, konnten aber ihrem Auftraggeber nicht erklären, was dabei das Ziel und die Absicht des Feindes sei, ob er die Deutschen in einen Hinterhalt locken oder bloß verwirren wollte. Eines Nachts wurde das Lager angegriffen, und als es hell wurde, war das Ergebnis zu sehen: Der bestbewaffneten Truppe des südlichen Afrika waren verheerende Verluste zugefügt worden. Die Stimmung bei den deutschen Soldaten war dementsprechend schlecht; die schon länger in Südwest dienten, begannen an den Fähigkeiten von Generalleutnant von Trotha zu zweifeln.
    Die Taktik der Herero (heute würde man von Guerillataktik sprechen) sei, so behauptete Alverdes später vor Gericht, ausschließlich von Samuel Maherero entwickelt worden. »Bei aller Abscheu gegenüber diesem Mann«, so wird der Angeklagte im Prozeßprotokoll zitiert, »muß man doch zugeben, daß er ein außerordentliches militärisches Talent besaß.« Diese Aussage darf man relativieren: Niemals hätte Alverdes vor dem deutschen Gericht eingestanden, Maherero wenigstens beraten zu haben. Wahrscheinlich ist vielmehr, daß er als der Verantwortliche für dieses An-der-Nase-Herumführen des Expeditionskorps gesehen werden muß. Samuel Maherero hätte sich eine Kriegerschar wie die seines Feindes, bevor er sie zum erstenmal vor sich sah, nicht einmal vorstellen können. Die Kämpfe gegen die Nama oder gegen andere Stämme waren Massenraufereien gewesen, es gab keine Strategie und keine Taktik zu entwickeln; die einen kämpften gegen die anderen, und alle kämpften auf einmal und kämpften so lange, bis alle erschöpft waren. Daß die Deutschen ein Heer aufgestellt hatten, das zahlenmäßig ein Viertel des gesamten Volkes der Herero ausmachte, Frauen, Kinder, Alte mit eingerechnet, dazu Waffen von einer Zerstörungskraft besaßen, die den Herero als nicht von dieser Welt erscheinen mußten, dem Kapitän das zu erklären, dazu hätte die Zeit, die ihm und seiner Sache blieb, nicht ausgereicht. Herwig Leopold geht in seinen Kriminalprozessen davon aus, daß Alverdes, jedenfalls in dieser Phase des Kampfes, das Heer der Herero geführt hat. Die Rebellen zerstörten Eisenbahnbrücken und rissen Schienen aus ihren Kofferungen und behinderten so den Nachschub für die deutschen Truppen; sie kappten wichtige Telegraphenverbindungen in die Hauptstadt und überfielen die Höfe deutscher Siedler, raubten Lebensmittel und Waffen.
    Die Hererokrieger hatten ihre Familien im Troß, weil sie fürchteten, das Deutsche Reich werde mit ihren Frauen und Kindern, wenn es sie unbeschützt träfe, kein Erbarmen haben (was die Soldaten des Deutschen Reiches dann ja auch nicht hatten); und sie trieben ihr Vieh vor sich her, weil es sonst vom Deutschen Reich requiriert worden wäre (was deutsche Farmer dann ja auch taten). Nachdem er sein Volk ein halbes Jahr lang kreuz und quer durch das Land geführt hatte, verschanzte sich Maherero am Waterberg bei Hamakari, um aus sicheren Stellungen heraus so lange dem Feind standzuhalten, bis der zu Verhandlungen und Zugeständnissen bereit wäre. Sicher rechnete er damit, daß Alverdes als Vermittler mit den Weißen rede. Hätte Gouverneur Leutwein die deutschen Truppen befehligt, wäre der Krieg wahrscheinlich auf diese Art und Weise beigelegt worden. Von Trotha aber dachte keinen Augenblick daran, mit diesen Menschen zu reden, er sah in

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