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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Veranstaltung den Männern die Fahrt von Windhoek nach Berlin und wieder zurück zu bezahlen. Sie bezeugten, sie hätten den Kaufmann Alverdes, den in Deutsch-Südwestafrika jeder kenne, in der Schlacht am Waterberg kämpfen sehen. Dr. Zitschin fragte, warum sie nicht auf der Stelle Meldung erstattet hätten. Der Staatsanwalt antwortete an ihrer Statt, die Männer hätten ihren Augen nicht getraut, weil sie einen solchen Verrat nicht für möglich hielten – womit er nicht nur Landesverrat, sondern vor allem Rassenverrat meinte, wie er unmißverständlich zum Ausdruck brachte. Eine Verurteilung schien zwingend, schon weil man ein Exempel statuieren wollte.
    Und nun Achtung! Nun folgt, was den Prozeß zu einer Sensation werden ließ, über die noch viele Jahre gesprochen werden würde. Ohne daß sich mein Großonkel mit seinem Anwalt abgesprochen hätte, bat er den Richter, ihm das Wort zu erteilen. Er wolle dem Gericht und dem ganzen Land beweisen, daß er nicht nur kein Verräter, sondern im Gegenteil ein noch schärferer Rassist sei als der Staatsanwalt, ein grimmigerer Feind der Neger als selbst Generalleutnant Lothar von Trotha. Nein, er sei nicht ein Mitstreiter von Samuel Maherero gewesen, sagte er, sondern dessen Gefangener und Geisel. Und daß der Kapitän ihn beim Waterberg nicht zurückgelassen, sondern mit in die Omaheke geschleppt habe, sei, vom Standpunkt dieses Feindes des Deutschen Reiches aus betrachtet, durchaus folgerichtig gewesen, denn auch er habe, ähnlich wie es nun der Staatsanwalt von diesem Gericht verlange, an ihm, Hanns Alverdes – im Dienste des Deutschen Kaiserreiches Handelsmann in Afrika seit 1884 – ein Exempel statuieren wollen, habe er ihn doch als den erkannt, der er war: der Widersacher seines Volkes. Vor den fassungslosen Anwesenden breitete mein Großonkel nun seine Mordtaten aus, schilderte sie bis in die Einzelheiten, angefangen bei dem alten Herero an der Wasserstelle, weiter, daß er den Buben auf dem Weg zur Missionsstation in Otjimbingwe in den Rücken geschossen und versucht habe, seinen kleinen Finger abzubeißen, erzählte ohne Scham und Reue von den Männern und Frauen, die er gleichsam im Vorbeigehen erlegt habe; schilderte haarklein die bestialische Tat an der schwachsinnigen Frau; daß diese eine Deutsche gewesen war, bestritt er gar nicht, behauptete aber, daß sie sich den Negern als Hure verkauft habe – was aus der Luft gegriffen war. Was er bei seinen Taten empfunden hatte, nämlich nichts, daß er in Wahrheit in keinem der Fälle einen Grund für seine Tat gehabt hatte, außer dem letzten, als er die Frau vor der Scheune auf dem Boden gekreuzigt und lebendig verbrannt hatte, um sich dafür zu rächen, daß sie ihn angezeigt hatte, das trug er dem Gericht freilich nicht vor. Darüber sprach er erst viel später.
    Aber: Mord ist Mord, und in Deutschland herrschen Recht und Ordnung. Jawohl, betonte der Richter, Mord ist Mord und bleibt Mord, und Mord an einem Neger werde von einem deutschen Gericht erst dann nicht als solcher gewertet, wenn ein Gesetz verabschiedet sei, das den Negern das Menschsein abspreche. Hanns Alverdes wurde vom Vorwurf des Landesverrats freigesprochen. Er wurde vom Vorwurf des Mordes an dem Polizisten Wipplinger freigesprochen. Er wurde schuldig gesprochen des Mordes an der deutschen Frau, und er wurde schuldig gesprochen des Mordes an acht Mitgliedern des Volkes der Herero. Und er wurde zum Tode verurteilt.
    Aber das Urteil ist nicht vollstreckt worden. Die Strafe wurde in lebenslänglich abgemildert. Und weil die ersten Seelenexperten des Reiches meinen Großonkel für verrückt erklärten, und zwar so verrückt wie eine Scheißhausfliege, wurde aus lebenslangem Gefängnis lebenslanges Irrenhaus. Zuerst hat man ihn nach Plötzensee gebracht. Da hätte man ihn gleich an die Wand stellen können. Meine Großmutter und Tante Franzi drängten meinen Großvater, er solle alles, was in seiner Macht stehe, aufbieten, um ihren Bruder dort herauszuholen. Also, meinem Großvater war die Sache ekelhaft, er hätte am liebsten nie etwas davon erfahren, und er hatte absolut nichts dagegen, daß man so einen Kerl in eine Anstalt sperrte, es durfte sich dabei auch ruhig um die schlimmste ihrer Art handeln. Tante Kuni hat mir erzählt, es habe lange gedauert, bis er seine eigene Frau wieder so ansehen konnte wie vor dieser Geschichte. Mit den Göttingern wollte er von nun an nichts mehr zu tun haben, weder mit Tante Franzi noch mit Tante Kuni. Er

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