Abendstern - Roman
zu weit getrieben?
Als sie in ihren Flanellpyjama geschlüpft war, zwang sie sich zu fünfzehn Minuten Pilates (okay, zehn) und weiteren fünfzehn Minuten Yoga, bevor sie sich schließlich unter die fabelhafte Steppdecke kuschelte.
Sie nahm ihr Buch vom Nachttisch und las noch ein paar Seiten, bis ihr schließlich die Augen zufielen. Kurz nach Mittenacht legte sie das Buch beiseite und schaltete das Licht aus.
Kurz darauf war sie eingeschlafen.
Quinn erkannte den Traum als Traum. Sie hatte die bunte Welt ihrer Traumlandschaften immer schon genossen. Sie empfand sie als Abenteuer ohne jede körperliche Anstrengung. Als sie sich auf einmal auf einem schmalen Pfad durch einen dichten Wald befand, in dem lediglich der Mondschein silbrig durch das Laub schimmerte, dachte sie: Oh, Mann, das ist ja toll.
Sie glaubte heiseres, verzweifeltes Flüstern zu hören, aber die Worte waren nicht zu verstehen.
Die Luft glitt wie Seide um sie, während sie durch den wabernden Nebel auf die Stimmen zuging. Ein einzelnes Wort flog durch die Nacht auf sie zu, plötzlich klar und deutlich zu verstehen. Bestia.
Immer wieder hörte sie es, während sie dem Weg folgte. Sexuelles Verlangen stieg in ihr auf, breitete sich in ihr aus.
Zwei oder drei Mal schien die Luft Beatus zu murmeln, und im Traum beschleunigte sie ihre Schritte.
Aus den Bäumen schwang sich eine schwarze Eule in die Luft, und Quinn erschauerte. Sogar im Traum empfand sie Angst.
Im kalten Wind sah sie hingestreckt auf dem Weg ein goldenes Rehkitz. Blut sickerte aus seinem Hals in die Erde.
Ihr Herz krampfte sich vor Mitleid zusammen. So jung und so süß, dachte sie, als sie darauf zutrat. Wer mochte denn so etwas getan haben?
Einen Moment lang hob sich der Schleier von den toten Augen des Kitzes, und sie leuchteten golden. Sie blickten sie so traurig und weise an, dass ihr die Tränen kamen.
Die Stimme wurde deutlicher, jedoch nicht über die Luft, sondern in ihrem Kopf, sie hörte ganz deutlich ein einzelnes Wort: devoveo.
Dann waren die Bäume auf einmal kahl, Eis hüllte Stamm und Äste ein, und das silberne Mondlicht wurde grau. Sie stand vor einem kleinen Teich. Das Wasser war so schwarz wie Tinte, als ob es jedes Licht in seine Tiefen saugen würde.
Am Teich saß eine junge Frau in einem langen braunen Kleid. Sie hatte die Haare kurz geschoren, und die Stoppeln standen wild in alle Richtungen ab. Sie füllte sich die Taschen ihres Kleides mit Steinen.
Hallo, rief Quinn. Was tust du da?
Das Mädchen reagierte nicht, und als Quinn näher trat, sah sie, dass Tränen und Wahnsinn in seinen Augen standen.
Oh, bitte, tu das nicht. Geh nicht ins Wasser. Warte. Warte einfach. Red mit mir.
Das Mädchen wandte ihr den Kopf zu, und erschreckt blickte Quinn in ihr eigenes Gesicht. Er weiß nicht alles, sagte die Wahnsinnige. Er kannte dich nicht.
Sie breitete die Arme aus, und ihr Körper, beschwert durch die Steine, sank ins Wasser. Der Teich schluckte sie wie ein wartendes Maul.
Quinn sprang hinein - was hätte sie sonst tun sollen? Sie holte tief Luft und wappnete sich gegen die Kälte, die sie erwartete.
Dann erschien ein Lichtblitz, ein Brüllen, das vielleicht Donner war oder etwas Lebendiges und Hungriges. Sie lag auf den Knien auf einer Lichtung, wo ein Stein aus der Erde ragte wie ein Altar. Feuer loderte um sie herum, hüllte sie ein, aber sie spürte nichts von seiner Hitze.
In den Flammen sah sie zwei Gestalten, eine schwarz, eine weiß, die sich wie zwei wilde Tiere ineinander verbissen hatten. Mit einem schrecklichen Geräusch tat sich die Erde auf und verschluckte alles.
Schreiend klammerte sie sich an den Stein, um nicht ebenfalls in die Tiefe gezogen zu werden. Er brach in drei gleiche Teile, und sie stürzte, stürzte in den offenen Schlund.
Als sie erwachte, lag sie in dem zerwühlten Bett, die Hände um den Bettpfosten geschlungen, als ob ihr Leben davon abhinge.
Ihr Atem ging keuchend, und das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Ein Traum, das war nur ein Traum, sagte sie sich, aber sie brachte es nicht über sich, den Bettpfosten loszulassen.
Sie drückte die Wange an das Holz und schloss die Augen, bis das Zittern langsam nachließ.
»Das war vielleicht ein Traum«, murmelte sie.
Der Heidenstein. Dort war sie am Ende des Traums gewesen, da war sie sich ganz sicher. Sie hatte ihn schon auf Bildern gesehen. Kein Wunder, dass sie so schrecklich davon geträumt hatte. Und der Teich … hatte sie bei ihren Recherchen nicht auch etwas
Weitere Kostenlose Bücher