Abenteuer des Werner Holt
kommen Sie sofort zurück!«
Holt trabte im Laufschritt zur Straßenbahn. Vor dem Hauptbahnhof stieg er aus und lief zu Fuß weiter. Zehn Minuten später klingelte er bei Frau Ziesche. Sie lief in einem Strandanzug in der Wohnung umher und hatte in der Küche Bier auf Eis stehen. »Seit den letzten Angriffen will Ziesche unbedingt, daß ich hier weggeh! Ich soll zu ihm nach Krakau kommen! Außerdem werde ich dauernd angemeckert wegen der großen Wohnung. Ziesche schreibt, es wäre besser, wenn ich zwei Zimmer abgebe, damit die Volksgenossen nicht sagen können, die Partei macht Schiebung.«
»Eigentlich könntest du hierbleiben, bis ich zum RAD geh«, sagte Holt. »Wir sind vorige Woche gemustert worden. Es sind ja nur noch sechs Wochen.«
»Ausgerechnet nach Krakau!« sagte sie. »Dort sind doch bald die Russen! Da fühl ich mich hier im Keller noch wohler!« – »Hör doch mal zu!« rief Holt. »Ich will was mit dir besprechen!«
Sie hörte sich Holts Urlaubspläne an und überlegte lange. »Es wäre schön«, sagte sie. »Ich kenne einen Ort im Bayrischen Wald … Nein … Es geht nicht! Du hast Urlaub, fährst nicht nach Hause, und gleichzeitig verreise ich, Ziel unbekannt … Das
muß
ja auffallen!«
Er war enttäuscht. »Überleg dir doch Ausreden!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht riskieren. Es wäre herrlich, aber es geht nicht.« Nach einer Weile setzte sie hinzu: »Wenn Günter Ziesche nicht wäre!« – »Wenn, wenn!« sagte er. »Alles verdirbt er mir, dieser ekelhafte Kerl!« – »Sei friedlich«, meinte sie. – »Dann bleib wenigstens hier, bis ich zum RAD geh«, bat er, »ich hab sonst niemanden.« – »Werde nicht sentimental, dazu ist gar kein Grund.«
Als der Drahtfunk meldete: »Über dem Reichsgebiet befindet sich kein feindlicher Kampfverband«, lag Holt neben Frau Ziesche auf dem Bett. Die Fenster waren weit geöffnet. Er versuchte noch einmal, sie zu überreden: »Hast du nicht irgendwo Verwandte, daß du sagen kannst …« – »Es geht wirklich nicht! Mir tut es selbst leid.« Ihm war, als höre er Schritte in der Wohnung. Das mußte ein Irrtum sein. »Und wenn du vorausfahren würdest«, fragte er hartnäckig, »und ich komm später nach? Da kann doch keinem was auffallen!«
Die Tür öffnete sich, und auf der Schwelle des Schlafzimmers stand Ziesche, tatsächlich, Luftwaffenoberhelfer Ziesche, den Stahlhelm am Riemen in der Rechten; Holt erschrak und zog nur die Steppdecke über Frau Ziesche.
Ziesche sagte hilflos: »Aha … aha … aha!«, und ehe sie noch recht begriffen hatten, war er verschwunden wie ein Spuk. Die Tür blieb offen. Draußen fiel die Vorsaaltür ins Schloß. Holt sagte wütend: »Dieses Schwein … Dieses schwule Schwein!«
Frau Ziesche zitterte vor Schreck. Sie war bleich. »Um Gottes willen!« Er wollte sie beruhigen, aber sie hörte auf nichts und stammelte: »Erledigt … erledigt, er schreibt’s seinem Vater!« Dieser Gedanke schreckte nun auch Holt. Er überlegte schwerfällig, was da zu tun sei. Gilbert muß helfen, und Ziesche muß schwören, nichts zu verraten! dachte er zuerst. Aber dieser Gedanke war sinnlos. Auf Wolzow war nicht zu rechnen, und Ziesche würde sich lieber totschlagen lassen, ehe er darauf verzichtete, seine Stiefmutter samt Holt ans Messer zu liefern. Holt saß im Bett, die Knie bis unters Kinn gezogen, und dachte: Elend, verfluchtes!
Frau Ziesche lag bewegungslos neben ihm. Sie sah auf einmalverfallen aus. »Er jagt mich weg«, flüsterte sie, »er jagt mich einfach weg!« – »Warte ab«, sagte Holt. »Er wird’s nicht erfahren, dafür laß mich sorgen.« Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, aber der Weg in die Stellung war lang, und unterwegs würde ihm schon etwas einfallen. Er stand auf, nahm seine Sachen und ging ins Bad. Er ließ sich eiskaltes Wasser über den Kopf laufen. Frau Ziesche folgte ihm, fröstelnd trotz der Hitze. »Er darf es nicht seinem Vater schreiben«, sagte sie, ein wenig gefaßter. Sie redete auf Holt ein: »Werner, was du tust, ist gleichgültig. Aber er darf es nicht seinem Vater schreiben! Du kennst den alten Ziesche nicht, er ist eitel und rachsüchtig.« Angst griff nach Holt. Er kämmte sich, warf den Kamm hin und sagte: »Ich werde sehen.«
Er fuhr in die Batterie. Natürlich fiel ihm auch auf dem Wege nichts ein. Er dachte: Welch bodenloser Leichtsinn! Das durfte nicht passieren! Und: Ich werde erst einmal mit ihm reden.
In der Stube saß Wolzow am Tisch und
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