Abenteuer des Werner Holt
Weise«, sagte sie. Er fiel ihr ins Wort: »Ich hab nicht zu drohen angefangen!«
Sie schwiegen beide. »Ich hab gedacht, du hilfst mir«, sagte er, »stehst mir bei … Aber du bist ja so unbeschreiblich falsch, daß …« Jetzt fiel sie ihm ins Wort: »Du hast kein Recht, so mit mir zu sprechen!«
»Nein?« fragte er. Zum erstenmal im Leben war er zynisch: »Da möcht ich wissen, was man noch anstellen muß mit dir, eh man dieses Recht hat!« Das traf sie wie ein Schlag ins Gesicht.
»So!« sagte er und stand auf. »Ich geh!« Er hatte keine Freude mehr daran, sie beschimpft zu haben, er empfand weder Scham noch Genugtuung, er fühlte in diesem Augenblick nur Gleichgültigkeit und dahinter dunkel und drohend die Angst. Auf dem Korridor konnte er seinen Stahlhelm nicht finden. Als er ihn schließlich auf einem Korbstuhl liegen sah, öffnete sich die Wohnzimmertür; Frau Ziesche war bleich, und die dunklen Augen glühten in dem blassen Gesicht. Leise, doch sehr deutlich sagte sie: »Du unverschämter Kerl wirst dich jetzt sofort bei mir entschuldigen!« Er schaute sie ein wenig verwundert an und kam nicht los von ihrem Blick. Er sagte: »Es tut mir leid.« Er faßte ihre Hand: »Verzeih mir.«
»Wolltest du wirklich fort?« fragte sie später. – »Ja.« – »Und an mich hast du nicht gedacht?« – »Nein. Aber du hättest mir gefehlt.« – »Du bist ein dummer, unverschämter Junge«, flüsterte sie. »Und du bist falsch«, sagte er, noch immer böse. Aber sie drängte sich gegen ihn. »Jetzt bin ich nicht falsch«, flüsterte sie. Die Sirene trieb sie hoch.
Voralarm. Während Holt die Uniform überzog, stellte sie im Wohnzimmer das Radio an. Starke feindliche Kampfverbände im Anflug über der deutschen Bucht. Aller Voraussicht nach galt das nicht ihnen. »Wir hätten uns Zeit lassen können«, sagte er. Sie richtete im Wohnzimmer den Teetisch her, nun saßen sie ohneLicht vor den weitgeöffneten Fenstern. Kurz vor Mitternacht heulten die Sirenen Vollalarm. »Ich hätte mich doch lieber anziehen sollen«, sagte sie, noch immer im Kimono. Er beruhigte sie: »Es sind abfliegende Verbände.« Zwanzig Minuten lang zogen die Bomber vorbei. Flak grollte im Norden. Sie standen am Fenster. Entwarnung! Sie sagte: »Jetzt ruf ich in der Batterie an und frag nach dir!« – »Mitten in der Nacht? Frag lieber nur, wenn sich Gottesknecht meldet, er wird bestimmt noch auf der B 2 sein!«
Holt brachte sein Ohr dicht an ihr Gesicht; so konnte er mithören. Gottesknecht meldete sich. »Holt? Wer spricht denn da? Ach so! Nein, Holt hat Ausgang. Er wird morgen früh zu sprechen sein. Hier liegen günstige Nachrichten für ihn.« Frau Ziesche sagte noch: »Das hört man gern!« Holt warf sich aufatmend in einen Sessel.
Am Morgen schob sie ihm ein großes zusammengerolltes Heft unter den Arm. »Schau dir das an, damit du siehst, für wen du dich eingesetzt hast.« Er stopfte die Zeitschrift durchs Koppel und rückte die Mütze zurecht, sie stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte, den Mund an seinem Ohr: »Komm bald wieder!«
In der Straßenbahn nahm er sich das Heft vor. Vom Titelblatt grinste ihn eine grauenhafte Menschenfratze an. Darunter große, fahle Buchstaben: »Untermenschen …«, »IB Sondernummer«. Viele Seiten lang die gleichen tierischen Gesichter, mittelalterliche Teufelsmasken, verzerrt, mit gebleckten Raubtierzähnen. Ab und zu eine kurze, einprägsame Textzeile: »Das Reich ist bedroht!« Oder: »Das Antlitz Judas, lüstern nach deutschem Blute!«
Auf dem Batteriegelände wurden neue Baracken aufgestellt. Gottesknecht winkte Holt zu sich heran. »Wolzow ist wieder da.« Er ging neben Holt durch die Feuerstellung. »Es war ein Mißverständnis, wie ich dachte.« Holt sagte: »Ich habe Ihnen zu danken, daß …« – »Scheren Sie sich zur Hölle!« rief Gottesknecht.
In der Stube saß Wolzow, frühstückte und erklärte: »Minsk ist gefallen! Ich hab also recht behalten!« Als Holt eintrat, rief er unbefangen: »Wieder im Lande?« Er räumte Brot und Wurst in den Spind. »Sepp, Werner, kommt mal mit zur Leitungsprobe!«
Am Geschütz erzählte er. Man hatte ihn mit dem Wagen auf irgendeine Dienststelle gefahren und dort vor einen Obergruppenführer gebracht. Wolzow hatte die Anschuldigung, er habe einen SS-Mann im Dienst bedroht, sogleich zugegeben. Aber er hatte bestritten, daß dies wegen der Russen geschehen sei. Es habe sich vielmehr um eine »reine Privatsache« gehandelt, davon
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