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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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gelegentlich seiner schrecklichen Jähzornausbrüche rühmen, annähernd so gehaßt und gefürchtet zu sein. Zwei Gefreite, die als Hilfsausbilder tätig waren, gaben nur die Kulisse für die Auftritte Revetckis ab. Revetcki war zudem der Scharfrichter des Zugführers. Der geschniegelte Leutnant war kein Rekrutenschleifer. Er sagte, wenn er auch vor Wut kochte, leise und beherrscht: »Ich mach mir doch an euch nicht die Finger schmutzig! Revetcki, nehmen Sie diese fünf Mann! Machen Sie die Leute fertig! Bis zumZusammenbrechen!« Revetcki führte die Delinquenten in ein schweres Gelände beim Zielgarten, wo es Gräben, Hecken, Hohlwege und Hügel gab, oder auf das Trichterfeld des Kasernenhofes, spitzte die Lippen und flötete: »Dies sind die Tage, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht, Prediger zwölf, Vers eins.« Dann wanderte er langsam über den Acker, die Hände mit dem Stöckchen auf dem Rücken, und ließ seine Opfer im Laufschritt um sich herumlaufen und ließ sie unter der Gasmaske brüllen: »Zicke-zacke-zicke-zacke-hei-hei-hei!«, bis ihnen der Atem verging. Revetcki hatte es dabei nicht eilig, er wußte, daß unter der Maske bei genügender Bewegung jedem die Luft knapp wurde. Es gab körperliche Zusammenbrüche. Holt sagte nach einer solchen »Sonderbehandlung«: »Es ist das gemeinste, das es gibt!« Der Leutnant aber pflegte zu sagen: »Den Kerlen zittern ja bloß ein bißchen die Knie! Revetcki, machen Sie die Brüder doch gleich noch mal fertig, sonst denken die, hier ist ein Sanatorium!«
    Das ärgste an Revetcki war, daß er die Rekruten zu erniedrigenden Schaustellungen mißbrauchte. Das bekam Holt zu spüren. Ein zeitiger Winter mit viel Schnee und harten Frösten brach herein. In der Schneewüste des Zielgartens, draußen, zwischen den Hügeln, wurden die fünf Stunden Infanteriedienst zu einer Strapaze. Eines Tages zogen sie wieder zu dem berüchtigten Übungsgelände hinaus. Holt marschierte an der Spitze des Zuges, ein MG über der Schulter, Vetter war Schütze 2 und schleppte ein paar mit Platzpatronen gefüllte Munitionskästen. Dann lagen sie hinter dem MG im Schnee. Holt sah in der Nähe die bullige Gestalt des Oberfeldwebels Burgkert, in einem verdreckten Fahrermantel; er trieb sich mal hier, mal da herum, man sah ihn gelegentlich mit einem Waffenrock voller Orden, man wußte nichts von ihm, als daß er der Liebling des Abteilungskommandeurs sei und etwas wie Narrenfreiheit genieße. Er sah verkommen aus und bewegte sich stets in einer Wolke von Schnapsdunst. Jetzt stand er bewegungslos auf der Anhöhe, wo sie am zugigsten war, und schneite ein; schon reichte ihm die Schneewehe bis an die Knie. Holt blickte auf ihn. Er überhörte einen Befehl Revetckis. Revetcki sprang zu ihm hin. »Laufwechsel!« Er stoppte die Zeit. »Fünf Sekunden!«Holts Hände waren klamm vor Kälte. »Zehn Sekunden … Fünfzehn …« – »Fertig!« rief Holt. »Schlecht, sauschlecht, hundsmiserabel!« schrie Revetcki. »Unfähig, faul, träge, minderwertig! Schwein, Dreckschwein, Wildschwein, es hat eine Sekunde zu lange gedauert!« Holt rührte sich nicht. »Jetzt schleif ich dich zum Krüppel! Los, aufstehen!« Holt erhob sich. Revetcki umkreiste Holt zweimal. Dabei schlug er mit dem Rohrstöckchen an die Schäfte seiner Stiefel. »Ich weiß was Besseres! Sie werden den Himmel darum bitten, daß mir im Kriege kein Leides geschehe! Sie werden täglich für mich beten! Sie melden sich mit Vetter heute abend bei mir.«
     
    Eine Stunde vor Zapfenstreich stieg Holt mit Vetter die Treppe zum dritten Stock hinauf, wo die Zimmer der Unteroffiziere lagen. Revetcki wohnte mit Boek und einem ruhigen, älteren Unteroffizier namens Winkler zusammen. Revetcki lag im Trainingsanzug auf seinem Bett. Er hatte sich viele bunte Kissen in den Rücken geschoben und hielt die Hände auf der Brust gefaltet. Unteroffizier Boek saß am Tisch, rasierte sich und grinste erwartungsvoll. Unteroffizier Winkler lag schon im Bett. Revetckis Gesicht zuckte. »Ich wünsche ab sofort allabendlich ein Nachtgebet zu hören«, sagte er. »Ich habe mich entschlossen, fromm zu werden, weil ich unter euch Teufeln Gefahr laufe, ein Leben zu führen, welches Gott nicht wohlgefällig ist. Holt, sagen Sie das Gebet auf!«
    Boek feixte.
    »Und Vetter, Sie beten anschließend mohammedanisch«, befahl Revetcki, »falls Allah größer als Jehova ist!«
    Holt besann sich nicht länger und sagte, was ihm gerade in den Sinn kam: »Ich bin klein, mein

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