Abenteuer des Werner Holt
Nationalsozialisten«, sagte er, »kennen nur ein Gesetz: die Treue zum Führer!« Er sprach gern und oft. »Das deutsche Volk hat den wertvollsten Zug seines Wesens, die nordische Treue, für das Linsengericht deswelschen Humanismus hingegeben. Der Führer macht diesen verderblichen Tausch rückgängig. Es muß wieder gelten: Unsere Ehre heißt Treue! Das nenne ich deutsche Wiedergeburt.« Er sprach nicht nur gern, er sprach auch fließend. Er zitierte oft »Mein Kampf« und noch öfter Rosenbergs »Mythus«. Er war NSF-Offizier. Mit Leidenschaft hielt er »wehrpolitischen Führungsunterricht«. Wehnert, fand Holt, ließ sich mit Ziesche vergleichen. »Vergeßt nie die strahlende Mission, die wir Deutschen erfüllen!« sagte er. »Seit zwei Jahrtausenden sehnt sich die Menschheit nach Erlösung. Die Welt wartet auf den Heiland. Wir, Volk der Deutschen, sind der Heiland. Aber wir lassen uns nicht, wie jener falsche Erlöser, ans Kreuz schlagen. Wir schlagen die anderen ans Kreuz. Unser Evangelium heißt Macht.«
Zu den Rekruten pflegte er zu sagen: »Panzerschütze Reimann! Sie sind nur ein Stück Dreck! Sie werden die Gnade nie begreifen, in dieser Zeit leben zu dürfen. Niemals wird die Erleuchtung über Sie kommen, welche Ehre es ist, für Adolf Hitler zu sterben. Sie leben stur dahin, fressen, saufen. Sie sind Dünger für den Acker, den wir Nationalsozialisten mit dem Schwert pflügen, damit das Reich wachse und gedeihe.«
Er hatte zwei Steckenpferde: Vorträge über Themen wie »Der Held und die Geschichte«, »Das Deutschtum und der heldische Gedanke« und Kriegsspiele am Sandkasten. Er führte eine Reihe von Liedern ein, die von der SS gesungen wurden: »Kamerad, wo bist du«, lautete das eine, es kam etwas von einer »kleinen Freundin« darin vor. Peter Wiese sagte zu Holt: »Die Sentimentalität dieser Lieder ist verlogen!« Holt war das gleichgültig. Er schrie, was die Lungen hergaben, denn wenn der Gesang klappte, ließ man sie in Ruhe marschieren. Das war das wichtigste.
An der Front war Leutnant Wehnert nur kurze Zeit gewesen, ein paar Wochen in Frankreich. Wolzow sagte: »Reden kann er sehr schön. Mal sehn, was an der Front aus seinem ›heldischen Gedanken‹ wird. Was er sagt, unterschreib ich. Er könnte mein Ideal sein. Aber ich werde das Gefühl nicht los, er trägt eine Maske, und in Wirklichkeit … Also abwarten!« Einmal gerieten sie aneinander. Wolzow prahlte mit seinen militärischen Kenntnissen.Wehnert rief: »Sie sind ein Angeber, Wolzow! Ich habe schon manchen großmäuligen Feigling gekannt.«
Wolzow sagte am Abend: »Großmäuliger Feigling … Das laß ich mir nicht bieten!«
Wenige Tage später war im Zielgarten das erste Werfen mit scharfen Handgranaten. In der Deckung eines Gebüsches händigte Revetcki Holt eine Stiel- und eine Eierhandgranate aus. Holt mußte sie schärfen, dann steckte er die Stielhandgranate durchs Koppel und kroch über das Feld zu dem Schützenloch hin, wo Leutnant Wehnert wartete.
Der Leutnant, in dem engen Loch dicht an Holts Seite, erklärte noch einmal: »Es wird nicht gezählt! Es wird abgerissen und geworfen.« Etwa zwanzig Meter vor dem Loch war ein Pfahl als Ziel in die Erde gerammt. »Los!« Holt schraubte den Stiel auf, die Schnur mit dem Porzellanknopf fiel in seine Hand. Er riß ab und warf. Leutnant und Rekrut duckten sich tief ins Loch, die Druckwelle der Detonation fegte über sie hin. Holt warf auch die Eierhandgranate.
Wolzow saß inmitten der Gruppe im Gebüsch und wartete. Er schwang wie üblich große Reden. »Die Wirkung einer Handgranate ist gering«, sagte er. »Es handelt sich vor allem um eine moralische Wirkung.« – »Sie sollen heute noch verspüren«, deklamierte Revetcki, »wie tief moralisch mein Privatschliff wirkt!« Wolzow schwieg. »Los, ab!« befahl Revetcki.
Wolzow kroch ins Loch, wo Wehnert wieder seinen Spruch aufsagte: »Es wird nicht gezählt, es wird abgerissen und geworfen.« – »Jawohl«, sagte Wolzow. Dann warf er die Stielhandgranate. Als er sich die Eierhandgranate zurechtmachte, fragte er: »Ich bin doch recht unterrichtet: der Zünder brennt fünf Sekunden?« – »Quatschen Sie nicht. Werfen Sie!«
Wolzow schob umständlich den Ärmel des Mantels und der Feldbluse hoch, legte das Zifferblatt seiner Armbanduhr frei, sah den Leutnant an und riß den Zünder ab. Dann hielt er die Eierhandgranate in der Faust und blickte auf die Uhr. »Noch vier Sekunden …« – »Wolzow!« schrie der Leutnant in
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