Abenteuer des Werner Holt
Herz ist rein …«
Revetcki schrie schon los: »Wahnsinniger! Irrsinniger! Schwachsinniger! Nennt Er das ein Nachtgebet für einen preußischen Korporal?« Er äffte nach: »Ich bin klein … Will Er seinen Korporal wegen seines geringen Wuchses verhöhnen?«
»Nein, Herr Unteroffizier!«
»Ab!« schrie Revetcki. »In einer halben Stunde wieder hier! Miteinem ordentlichen Gebet! Es muß zwei Teile haben! Der erste Teil muß traurig sein, daß ich an meine vielliebe Mutter denken und weinen kann! Der zweite Teil muß kernig sein, wie dies für einen Soldaten sich geziemt! Los, ab!«
Holt sagte draußen zu Vetter: »Er ist geisteskrank! Er ist ein geisteskranker Narr!« – »Ach wo«, sagte Vetter, »der hat bloß seinen Jux mit uns, weil wir doch alles tun müssen!«
In der Stube berieten sie. Die Anteilnahme war groß, denn schon morgen konnte es jeden anderen treffen. Das Problem wurde mit Kindchens Hilfe gelöst. »Drei Zigaretten, und ich mach’s! Ich kann dichten, ich hab schon als Junge Festzeitungen geliefert, Hochzeitsgedichte und so!« Er nahm Papier und Bleistift. »Zwei Teile? Erst ernst, dann kernig?« Er schrieb. Er fragte: »Was reimt sich denn gleich auf Furz?« – »Sturz!« rief Wolzow. »Kurz!« schrie es aus einer Ecke. Kindchen war rasch fertig, las vor und erntete Beifall. Holt prägte sich die zusammengereimten Zeilen ein. Kindchen witterte ein Geschäft. »Wenn er jeden Abend so ein Gedicht haben will, und ihr bestellt sie bei mir wochenweise, dann geb ich bei sieben Stück dreißig Prozent Rabatt, sagen wir: fünfzehn Zigaretten die Woche.«
Holt und Vetter meldeten sich wieder bei Revetcki. »Der Abend sinkt«, begann Holt, »die Sterne scheinen, der Mond am Himmel leuchtet mild.« Revetckis Gesicht verklärte sich. Holt fuhr fort: »Die Mütter in der Heimat weinen an ihrer Söhne trautem Bild.« – »Schön!« flüsterte Revetcki. »O so schön!« Holt überlegte verzweifelt, wie es weitergehe. »Fern tönt des Glöckchens süß Gebimmel. Der Herr verhüte deinen Sturz.« Revetckis Augenbrauen zuckten. Holt vollendete: »Ruh sanft. Es schenke dir der Himmel gesunden Schlaf und guten Furz!«
Unteroffizier Boek schlug ein brüllendes Gelächter an. Revetcki schrie: »Vetter! Auf die Knie! Das Gesicht gen Mekka! Los, heulen Sie wie ein Derwisch: Allah il Allah!« Vetter zeterte mit erhobenen Armen: »Aaalah il Aaalah!«
Holt sah abwechselnd auf Revetcki, dessen Gesicht eine unbekannte Begeisterung ausstrahlte, auf Vetter, der einen kläglichen Anblick bot, und auf Boek, der vor Lachen zu bersten drohte,beide Hände zwischen die Schenkel preßte und schrie: »Hilfe, ich … schiff mir … in die Hose!«
Holt sagte nachher zu Wolzow: »Ich soll jeden Abend kommen. Muß ich das?« – »Mußt du nicht«, sagte Wolzow. »Beschwer dich, du wirst todsicher recht bekommen. Aber überleg dir das hundertmal. Die Ausbilder sehen dann einen Spielverderber in dir.« Holt beschwerte sich nicht, obwohl er sich deshalb verachtete. Revetcki führte diese abendlichen Szenen dem Unteroffizierkorps der Stabskompanie vor. Kindchen lieferte Gebete, die am Anfang immer mehr von Sentimentalität trieften und deren Pointen immer lasziver wurden. Dann hatte Revetcki die Sache satt und erklärte, weiter ein »gottlos lüderliches Leben« führen zu wollen.
Der Stabsgefreite Kindchen sagte: »Du hast doch Abitur, Holt. Da mußt du nach dem Krieg Kritiker werden! Da gehst du in die Stadt, wo der Revetcki am Theater ist, und schreibst in der Zeitung: ›Der Statist Alois Revetcki, dieser mittelmäßige Komparse, verfügt nicht annähernd über die notwendigen Gestaltungsmittel, eine Rolle mit Leben zu erfüllen.‹ Dann gibst du ihm den Rest: ›Revetcki erwies sich wieder einmal als äußerst zweifelhafte Errungenschaft, auf die der Herr Intendant hätte verzichten müssen!‹ Sieh mal, ich hab eine kleine Fabrik, und unser Alter, der Reichert, also der hat mich mal ganz hundsgemein schleifen lassen. Von Beruf ist er Vertreter. Und nach dem Krieg …« Und wieder einmal erzählte er, wie er sich nach dem Krieg am Kommandeur rächen wolle.
Der Führer des Ausbildungszuges, Leutnant Wehnert, war einundzwanzig Jahre alt, groß und schlank, blond und blauäugig. Seine schwarze Uniform mit den silbernen Totenköpfen auf den Spiegeln war immer peinlich sauber und gebügelt. Wehnert sprach oft über sich selbst: »Ich bin Soldat durch und durch!« Oder: »Ich bin ein politischer Soldat … Wir glühenden
Weitere Kostenlose Bücher