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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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scheint er ein Mann von Charakter zu sein«, hatten auf Holt nachhaltig gewirkt. Vielleicht hatte er gar keinen Grund, sich seines Vaters zu schämen. Aber die Entfremdung wurde durch diesen Gedanken nicht geringer.
    Wieder verteilte der Wachtmeister beim Mittagessen Post. Holt erhielt als letzter einen Brief. Er wagte kaum, den Umschlag zu öffnen. In der Stube legte er sich auf sein Bett und las. In der kleinen Stadt ging das Leben weiter, als habe es die Jungen der Klasse VII niemals gegeben. Die Worte, die Holt ungeduldig überflog, waren blank und spöttisch wie immer. Aber zum Schluß wurden sie ernst. »Glaube nicht«, schrieb Uta, »daß dieser Sommer spurlos an mir vorübergegangen ist, aber reden wir nicht davon. Das Wasser zwischen uns Königskindern ist tief. Aber solange Du daran Freude hast, kannst Du mit einer gewissen Anhänglichkeit meinerseits rechnen; es wird Dich, wie ich Dich kenne, zu ungeheuren patriotischen Taten anspornen.«
    Er setzte sich am gleichen Abend hin und schrieb, verliebt und überschwenglich.
    Sie wechselten nun regelmäßig Briefe. Auf seine Verliebtheit antwortete sie mit Spott und Ironie. Nie schrieb sie mehr als zwei Seiten, aber auch nie weniger. Er bewahrte den Briefpacken sorgfältig auf; das Kreuz trug er stets in der Brusttasche.
     
    Wolzow erklärte eines Tages: »Das einzig Wahre ist Laden!« Scharf zu laden, war für Luftwaffenhelfer verboten. »Dös is a z’ schwere Arbeit für a solche Jungs!« sagte Schmiedling. Die Patronen wogen etwa dreißig Pfund und mußten auch bei siebzig oder achtzig Grad Rohrerhöhung in drei Sekunden geladen und abgefeuert sein. Aber Wolzow setzte es durch, daß er sich den riesigen, aus fingerdickem Leder genähten Ladehandschuh auf die rechte Hand ziehen und vorführen durfte, was Holt als wohlformuliertes Sprüchlein zum hundertstenmal in den Geschützstand brüllte: »K 3 faßt bei Ertönen der Feuerglocke eine in der Zünderstellmaschine ladefertig gemachte Patrone mit der rechten Hand am Patronenboden, mit der linken Hand am Schwerpunkt des Geschossesund führt sie mit der geballten rechten Faust ins Rohr ein. Unter gleichzeitiger Linksdrehung des Oberkörpers zieht er mit der rechten Hand ab.«
    Das Feuerleitgerät gab nun beim Gefechtsexerzieren Richtwerte an die Kanonen. Eine uralte Klemm-Schulmaschine brummte als Ziel über der Stadt herum.
    Sie fühlten sich bald als erprobte Flaksoldaten. »Wir alten Krieger«, sagte Wolzow immer häufiger im Gespräch. Was sie an den Geschützen gelernt hatten, das war in Fleisch und Blut übergegangen. Täglich lernten sie Neues. Es gab starres und bewegliches Sperrfeuer. Nahfeuer mit besonderer Munition, die durch gelbe Ringe auf den Patronenböden gekennzeichnet war. Mitten im gefechtsmäßigen Exerzieren mußten sie den Verschlußkeil ausbauen, weil angeblich der Schlagbolzen gebrochen war, was in der Praxis kaum jemals vorkam; aber Schmiedling bevorzugte gebrochene Schlagbolzen, weil dies eine beliebte Aufgabe bei der Besichtigung sei … Er stand dabei, die Uhr in der Hand und stoppte die Zeit. Gleicher Beliebtheit erfreuten sich Versager, welche hundert Meter weit aus der Stellung getragen werden mußten, was die Bedienung in Deckung abzuwarten hatte …
    Das Geschütz- und Munitionsreinigen war erträglich. Schmiedling hockte dabei und erzählte. Er zeigte Bilder seiner Frau und seiner vier Kinder. Man lobte, wie »kräftig« die Kleinen seien. Dieses Stichwort hatte Schmiedling selbst gegeben. Er hatte Holt das Bild seiner Frau gezeigt, ein kleines, vom vielen Herumreichen abgenutztes Photo. »Sehen S’ Ihnen die amol an, net wahr, dös is a kräftige Frau, wie S’ fei ka beßre net wern findn!« Warum hebt er so hervor, daß sie kräftig ist? dachte Holt. Darauf kommt es bei einer Frau doch nicht an! »Wissen S’, die schafft am sölbigen Hof, als Großmagd, da wo i als Schweizer gearbeit hab … Dös isa Glück, wenn a Frau so anpacken kann! Dös haut hin!« Er sagte noch mehrfach: »Dös haut hin … Die beiden Buabn arbeitn a scho mit, die treiben dös Vieh auf d’ Alm, net wahr!«
    Wieder sah Holt mit einem nachdenklichen Blick auf den Obergefreiten.
    Aber die Stunden am Geschütz, da man beieinandersaß, einePatrone mit »Fliegerfett blau« einrieb und dabei plauderte, waren selten. Müde, wie zerschlagen, fielen die Jungen abends ins Bett und rappelten sich ein paar Stunden später wieder auf, wenn die Glocke zur Nachtübung rief, und Gottesknecht setzte das nächtliche

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