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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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Gefechtsexerzieren stets ohne vorherige Benachrichtigung an.
    Schmiedling zeigte am Geschütz einen unerschöpflichen Einfallsreichtum. »Das kann er sich gar nicht alles ausdenken!« sagte Gomulka. »Das muß wohl alles vorkommen.« Mitten im nächtlichen Exerzieren ließ Schmiedling das Funkmeßgerät ausfallen: Düppel-Störung! »Dös is, wann die daheroben so a Silberpapierzeugs runterschütten, was die Stanniolstreifen sin, da kann dös Fu-MG net messen!« Er befahl eine neue Art des Sperrfeuers, Barrikadenfeuer, der Befehl lautete: »Barrikade – marsch!«, und bei fest eingestellten Richtwerten mußten die Ladekanoniere laden und feuern, immerfort laden und feuern … »Jetzt is d’ Munition am Gschütz zu Ende is die, holen S’ Patronen von der Zwotausstattung ran, aber dalli!« Sie liefen, Exerzierpatronen im Arm, durch die Nacht, vom Geschützstand zu den weit entfernten Bunkern der Zweitausstattung und zurück, eine Stunde lang, hin und her, bis sie vor Anstrengung keuchten und ihnen die Knie zitterten. Dabei pfiff Schmiedling auch noch auf seiner Trillerpfeife, und sie mußten sich mit der Patrone im Arm hinwerfen – aber wehe, wenn dabei die Patrone den Erdboden berührte! –, denn jeder Pfiff bedeutete eine Bombe.
    Bei einer solchen Gefechtsübung kam der dicke Vetter zu dem Spitznamen »Leiche«. Schmiedling ließ einen der fingierten Tiefangriffe mit Nahfeuer abwehren; beim Nahfeuer hatten die Richtkanoniere das Ziel übers Rohr direkt anzuvisieren. (»Wobei jeder Schuß ’n Kilometer danebenhaut«, sagte Wolzow.) Alles klappte, hundertmal geübt; doch da tauchte die alte Klemm plötzlich tief, ganz tief im Süden über dem Stadion auf, knatterte über die Stellung hinweg, und Schmiedling brüllte: »Tiefangriff Richtung sechs! Volle Deckung!« Auch das war schon hundertmal geübt worden. Aber heute passierte Vetter ein Mißgeschick. Er warf sich nicht der anfliegenden Maschine entgegen in die Deckung des hohen Erdwalles, sondern hopste eine Weile unentschlossen im Geschützstandherum und suchte dann auf der entgegengesetzten, auf der falschen Seite Deckung, während die Klemm über ihre Köpfe hinwegbrauste. Schmiedling wurde zornig. Er scheuchte die anderen wieder ans Geschütz, Vetter aber rief er zu: »Vetter, werden S’ wohl liegen bleiben! Sie san tot! Tot san Sie! Sie depperte Leich, Sie depperte!«
    Holt sagte später zu Gomulka: »Es ist ein unheimlicher Spitzname …« Aber es blieb dabei, und auch Gottesknecht rief: »Vetter, Sie Leiche, Sie sollen ja lebensmüde sein!«
    Überhaupt: Gottesknecht! Er wußte alles, er sah und hörte alles und tauchte stets im unpassendsten Augenblick auf. An den »Gastagen«, da man von früh bis abends mit aufgesetzter Gasmaske herumlaufen mußte, wurde Gottesknecht zur Plage. Man hatte ihnen französische Beutemasken gegeben, deren großer und schwerer Filter in einer umgehängten Tasche getragen wurde und durch einen Gummischlauch mit der Maske verbunden war. Die Jungen schafften sich Erleichterung, indem sie die Filter lockerschraubten, um mehr Luft zu bekommen. Aber dann war plötzlich Gottesknecht da, faßte in die Umhängetasche, und es hagelte Nichtgenügend.
     
    Während des harten Dienstes verfolgten die Jungen mit besonderer Spannung die Nachrichten über den Luftkrieg. Tag und Nacht flogen die Bomber über die Grenzen, mindestens nachts die »Störflugzeuge«, unter denen sich niemand etwas Genaues vorstellen konnte. Immer häufiger wurde das »rheinisch-westfälische Gebiet« als Angriffsziel genannt. »Das sind wir«, sagte Holt zu Gomulka. Es war nun schon Oktober. »Hast du gehört? Gestern nacht wieder mehrere Städte, besonders Bochum.« Wolzow las aus der Zeitung vor, eine Luftschlacht über Bremen habe die Angriffe im ganzen nicht verhindern können.
    Holt dachte an seine Verwandtschaft in Bremen. Der Stiefbruder seiner Mutter war dort Generaldirektor einer Werft. Die Hamburger Verwandten hatten die Angriffe unbeschadet überstanden.
    Schon wenige Tage später hörte man von einer siegreichen Luftschlacht über Schweinfurt. »›Die deutsche Luftabwehr hat am14. Oktober wiederum ihre ständig wachsende Stärke bewiesen und den feindlichen Angriffsverbänden gezeigt, daß ihrer Vernichtungswut Grenzen gesetzt sind‹«, las Wolzow vor. Die Nachricht verbreitete Optimismus. »›Wir registrieren nüchtern einen Markstein in der Entwicklung des großen Luftkampfes …‹, und hier: ›Die Piloten abgeschossener Maschinen haben

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