Abenteuer mit Archimedes, Pythagoras & Co.
Ursels Haus.
Nach kurzem Zögern fasste ich mir ein Herz und drückte auf die Klingel.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis sich erst die Vorhänge bewegten und dann die Tür geöffnet wurde. Ursel stützte sich auf einen Stock und schaute uns an. In ihrem Blick lagen weder Wut noch Hass und ganz und gar kein Gift.
Schüchtern hob ich den Blumenstrauß. »Wir möchten uns für unsere Streiche entschuldigen«, sagte ich mit leiser Stimme.
»Die waren nämlich gar nicht nett«, stand Olli mir bei und reichte ihr das Kreuzworträtselheft. »Für Sie! Von uns.«
»Tut uns wirklich leid«, flüsterte Tanja.
Ursels runzeliger Mund zog sich etwas in die Breite. So stellte ich mir das Lächeln der Hexe von Hänsel und Gretel vor. »Na, kommt mal rein.«
An den Wänden ihres Wohnzimmers hingen Familienfotos. Eine vergilbte Aufnahme zeigte Ursel jung in ihrem Hochzeitskleid an der Seite ihres Mannes, auf einem anderen schaukelte sie ein Kleinkind auf dem Schoß und eine weitere zeigte sie mit einem Spaniel an der Leine im Garten.
In der Ecke tickte eine Urgroßmutteruhr, die Fensterbretter schmückten Blumen und Kakteen.
Je mehr ich mich in dem ganz normalen Wohnzimmer einer ganz normalen Oma umschaute, desto schuldiger fühlte ich mich.
Sie stand in der Tür und versperrte uns den Rückweg. »Möchtet ihr einen Kakao?«, fragte sie mit einer Stimme, die viel sanfter und ganz und gar nicht so rostig war, wie ich es mir vorgestellt hatte.
»Es tut mir wirklich leid, Frau Ursel«, sagte ich mit belegter Stimme. »Wir waren so dumm.«
Sie patschte mir mit ihrer Hand aufs Haar. »Schon gut, junger Mann.«
Bei einer Tasse Kakao erzählte sie von ihrem verstorbenen Mann, den Kindern und Enkelkindern, die weit weg wohnten, und dem Hund, den sie letztes Jahr begraben hatte. Olli stupste mich leicht an.
»Frau Ursel«, begann ich. »Dürfen wir Sie etwas Ausgefallenes fragen?«
»Sicher, junger Mann.«
Ich hatte mir lange den Kopf zerbrochen, wie ich diese irre Frage stellen sollte, und war zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. »Sind Sie die Silberfee von Wollebach?«
Wir schauten sie neugierig an.
Ursel erhob sich und baute sich kerzengerade vor uns auf. Im Licht der einfallenden Sonne sah sie auf einmal arg herrschaftlich aus.
»Wer will das wissen?«, antwortete sie mit scharfer Stimme. Erst zögernd, dann immer flüssiger erzählten wir von den Abenteuern der Wollebachritter.
Als wir geendet hatten, führte sie uns in ein anderes Zimmer. An den Wänden hingen Bilder mit Zeichen, wie sie nur aus einem Zauberbuch stammen konnten, eckig und zackig und doch wie Buchstaben. Einige waren gerahmt und hinter Glas, andere mit einer Reißzwecke an die Wand geheftet. Ursel schloss die Vorhänge und entzündete Kerzen, die bald einen aromatischen Duft verbreiteten. Sie hüllte sich in einen wallenden Umhang und ergriff einen Stab. »Ihr seid die Erlesenen? Ihr seid diejenigen, die mir vom Reich jenseits des Hier und Jetzt angekündigt wurden?«
Wir schwiegen und schauten schüchtern auf unsere Fußspitzen.
»Das müsst ihr erst beweisen!«
»Wie denn?«, fragte Tanja leise.
»Drei Prüfungen: drei Trennungen!« Sie holte eine Kaffeebüchse aus einem Schrank. »Trennt die einen von den anderen. Nennt mir drei Lösungen, jeder von euch eine. Morgen läuft das Ultimatum aus.«
Damit schob sie uns vor die Tür.
»Wow, das sind mindestens hunderttausend!«, sagte Olli, als wir wenig später in unserer Küche saßen.
»Oder eine Million!« Tanja seufzte.
Die Kaffeebüchse war angefüllt mit schwarzen Kügelchen.
»Was sollen wir denn da trennen? Die sehen alle gleich aus«, sagte ich.
Tanja spielte mit ihnen herum. »Die fühlen sich nicht alle gleich an.«
Ein paar rollten vom Tisch auf den Boden. Klick! Klick! Bopp! Bopp! Klick! Bopp!
»Die hören sich auch nicht gleich an!«, rief Tanja aufgeregt.
Olli untersuchte die Kugeln und fand auch etwas heraus. »Die einen sind aus Holz, die anderen aus Metall.«
»Wenn man genau hinschaut, dann sehen die auch nicht mehr gleich aus!«, rief ich aufgeregt.
»Wir können alle einfach auf den Boden fallen lassen und nach Bopp und Klick sortieren«, schlug Tanja vor.
»Wir verbrennen die Holzkugeln und klauben die anderen aus der Asche«, meinte Olli.
»Gilt das?«, fragte ich. »Moment, ich habe eine Idee!« Ich eilte in den Keller und kam mit einem Magneten zurück. Langsam schwenkte ich ihn über den Kugeln hin und her. Einige blieben daran hängen, andere
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