Abenteurer sucht Frau fürs Leben
habe das Gefühl, dass es nicht nur um deine Eltern geht. Stimmt’s?“
Lili schaute aus dem Fenster in den strahlend blauen Himmel und nickte. „Ich liebe Kyle und will ihn nicht verlieren. Ich brauche ihn so sehr, aber ich weiß jetzt, dass ich ihn gehen lassen muss. Selbst wenn ich so sehr darunter leiden muss.“
Emma seufzte und nahm sie an den Schultern. „Dann geh und sag ihm, was du fühlst. Sonst wirst du es für den Rest deines Lebens bereuen. Beeil dich. Ich schließe hier ab und komme mit Belle nach. Lauf! Vielleicht erwischst du ihn gerade noch.“
Bitte, lass ihn noch da sein. Bitte, bitte!
Lili trat stärker in die Fahrradpedale. Die Ärmel ihres alten Maleroveralls blähten sich in dem eisigen Wind, der die Blätter von den Kastanienbäumen riss und über die Straße wehte.
Ihr Herz schlug höher, als sie ein dunkelgrünes Auto auf dem Parkplatz des Feathers stehen sah. Er ist noch da!
Schwungvoll sprang sie von dem alten Fahrrad und lehnte es gegen den nächstbesten Baum, lief in die Gaststätte hinein und ließ den Blick durch den Raum schweifen.
Da Kyle nirgendwo zu sehen war, stürmte sie die Treppe zu den Gästezimmern hinauf und blieb keuchend vor der einzigen geschlossenen Tür stehen. Sie streckte die Hand nach der Klinke aus, zuckte zurück und atmete mehrmals tief durch.
Nach etwa zehn Sekunden wagte sie es zu klopfen. Im selben Moment öffnete sich die Tür, und ein vertrauter grüner Militärrucksack kam zum Vorschein. Dahinter tauchte Kyle auf. Er blickte sie so eindringlich an, dass es ihr den Atem verschlug. Die Atmosphäre zwischen ihnen knisterte förmlich.
Dann trat ein Funkeln in seine Augen. „Hallo, Lili. Du siehst hübsch aus.“ Er schenkte ihr dieses Lächeln, das ihre Knie jedes Mal weich werden ließ. „Aber meinetwegen hättest du dich nicht so in Schale werfen müssen.“
Sie blickte an ihrem ältesten, von Farbflecken übersäten Overall herunter und schmunzelte.
„Ich wollte gerade zu dir“, eröffnete er. „Ist etwas passiert? Fehlt dir was?“
Liebe und Besorgnis in seiner Stimme vertrieben jeglichen Zweifel daran, wie ihr nächster Schritt aussehen musste. „Ich habe einen Brief von meiner Mutter gefunden. Er war in Dads altem Skizzenblock. Darin steht …“ Ihre Kehle war so zugeschnürt, dass sie nicht weitersprechen konnte.
„He, komm doch rein und setz dich.“ Kyle legte ihr einen Arm um die Schultern und schob den Rucksack beiseite, damit er sie ins Zimmer ziehen konnte. Dort drückte er sie sanft auf das Bett. Er setzte sich zu ihr und hielt ihre Hand. „Und jetzt erzähl mir, was so Wichtiges in dem Brief steht, dass du dich von deiner Malerei losgeeist hast.“
Lili blickte ihm in die Augen. „Darin steht, dass ich ein Dummkopf war. Ich habe mich in so vielen Dingen geirrt.“ Sie hob eine Hand und streichelte seine Wange. Ihr Herz pochte so heftig, dass sie glaubte, er könnte es hören. „Ich weiß jetzt, dass ich dich immer lieben werde. Ganz egal, wo du gerade bist. Wenn ich dich gehen lassen muss, damit du deiner Arbeit nachgehen kannst, dann soll es eben so sein. Willst du immer noch, dass ich auf dich warte?“
Er saß still da und starrte sie an.
Angstvoll biss sie sich auf die Unterlippe. Womöglich hatte sie soeben den größten Fehler ihres Lebens gemacht.
„Womöglich werde ich sechs oder sieben Monate am Stück unterwegs sein.“ Seine Stimme klang sanft und sinnlich.
„Vielleicht sogar länger, das ist mir klar. Aber ich werde dich tun lassen, was du tun musst , was immer das auch sein mag – in der Hoffnung, dass wir eines Tages wieder zusammen sein können. Ich liebe dich, und daran wird sich nichts ändern, ob du nun in Nepal oder Uganda oder nur auf der anderen Straßenseite unterwegs bist.“
Kyle ließ ihre Hand los und streichelte ihre Wange. „Weil du mich liebst, willst du mich gehen lassen? Damit ich den Beruf ausüben kann, der mir so viel bedeutet? Habe ich das richtig verstanden?“
Sie nickte. „Solange du irgendwo in dieser Welt unterwegs bist und nicht aufhörst mich zu lieben, dann wird mein Herz dir den Weg nach Hause weisen.“
„Dann gibt es nur eine Antwort auf deine Frage – nein, ich will nicht, dass du auf mich wartest!“
Ihr Herz sank, und ihre Augen begannen zu brennen.
Doch er lächelte sie an. „Ich bin nämlich nicht so tapfer wie du. Als ich heute Morgen dein Haus verlassen habe, ist mir klar geworden, dass ich die Frau nicht einfach so verlassen kann, in die ich mich
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