Aber bitte mit Sake
keinen Fall in die Hosentasche stecken darf. Ich bin wohl gerade in ein ziemliches Fettnäpfchen getreten. Um ihn abzulenken, reiche ich ihm das Omikuji , auf dem die Vorhersage für meine Zukunft geschrieben steht. Vielleicht kann er mir ja etwas dazu sagen. Aber so einfach scheint es dann doch nicht zu sein, denn er studiert bestimmt fünf Minuten lang mit zusammengekniffenen Augen das Papier.
» Sue-ky o , beinahe Fluch. Sossso. Sooososooso «, sagt er immer wieder. Dann guckt er mich besorgt an. »Nicht reisen!« Er klingt sehr bestimmt. »Hierbleiben. Besser, besser!« Na reizend. Offenbar wollte die Verkäuferin mich nicht beunruhigen, von Glück steht wohl doch nichts auf dem Zettel, sondern nur, dass ich eine geplante Reise lieber verschieben sollte. Dafür ist es allerdings etwas spät. Mein neuer Bekannter bedeutet mir daher, noch einmal umzukehren und mein Omikuji auf dem Schreinareal an einen Baum zu knoten, an dem bereits unzählige weitere der Papierstreifen hängen. Angeblich besagt dieser japanische Brauch, dass das Unglück dadurch an dem Baum, anstatt an der jeweiligen Person haften bleibt. Mäßig beruhigt und nicht ganz davon überzeugt, das drohende Unheil auf diese Art und Weise abwenden zu können, verabschiede ich mich von ihm und laufe zum Tokyo Art Center, das gemeinsam mit dem Suntory Museum of Art und dem Mori Art Museum eine Art künstlerisches Dreieck im Viertel Roppongi bildet. Schon von Weitem sehe ich die Fassade aus grünen Glasrippen. Mit einer Fläche von 48 000 Quadratmetern ist es Japans größtes Museum. Der Architekt Kurokawa Kisha hat die Eingangshalle so konstruiert, dass hier auch ungewöhnlich große Kunstwerke gezeigt werden können. Langsam schlendere ich an den Exponaten der aktuellen Ausstellung vorbei und erreiche gerade wieder den Ausgang, als um mich herum die Handys der Besucher alarmierend piepsen. Und zwar alle gleichzeitig. Erschrocken sehe ich mich um. Die Menschen im Raum sind stehen geblieben, starren wie gebannt auf ihre Telefone, dann wenden sie sich einander zu, tauschen ein paar aufgeregte Worte und bleiben abwartend stehen. Ich tippe einer älteren Frau auf die Schulter. Sie fährt erschrocken herum.
»Was ist passiert?«, frage ich sie und füge hilflos hinzu: »Ich verstehe kein Japanisch«. Mit starrer Miene zeigt sie auf ihr Handy.
»Ein Erdbeben.« Einige Minuten warten wir ab, bewegungslos und mit angehaltenem Atem, aber nichts passiert. Nach einer Weile entspannt sich die Frau. »Stark, aber nicht hier«, sagt sie zufrieden und deutet auf das Display. Dann verabschiedet sie sich mit einer angedeuteten Verbeugung. Erleichtert, dass ich vorerst von einem der berüchtigten Jishin verschont geblieben bin, verlasse ich das Museum. Da ich mich überhaupt nicht auskenne, keines der Schilder an der U-Bahn-Station lesen kann und nicht weiß, wie der Fahrkartenautomat funktioniert, beschließe ich, schwarz zu fahren. Mein Plan scheitert allerdings schon beim Betreten der Station an den automatischen Drehkreuzen, die man nur durchqueren kann, wenn man zuvor seine Fahrkarte entwertet. Hilflos blicke ich mich um. Neben dem Eingang sitzt eine Aufsichtsperson, die mich aufmerksam beobachtet und mich dann zu sich winkt.
»Blauchen Hilfe?«, radebrecht er in Englisch. Eifrig weise ich auf die Karte in meiner Hand. Es wäre zu kompliziert, ihm jetzt zu erklären, dass ich eigentlich überhaupt kein bestimmtes Ziel habe.
»Shinjuku!«, sage ich daher und tippe wahllos auf eine Station auf dem Plan. Der Japaner nickt, dann begleitet er mich zum Fahrkartenautomaten.
»Englisch!« Er tippt auf einen Button auf dem Display, und schon verwandeln sich die japanischen Schriftzeichen in für mich lesbare Worte. Mein Helfer hält mir stumm die offene Hand entgegen. Ich reiche ihm einen 1000-Yen-Schein und beobachte, wie er das Billet für mich zieht. 250 Yen kostet eine Fahrt, das Restgeld spuckt der Automat wieder aus. Dann weist mir der Mann die Richtung, verbeugt sich zwei Mal und verschwindet, während ich die Treppe hinabsteige. In der U-Bahn ruhen alle Blicke auf mir. Ich bin die einzige Europäerin, die einzige blonde Person im ganzen Zug und gefühlt größer als alle anderen Anwesenden zusammen. Da ich auch noch Highheels trage, überrage ich selbst die Männer um mindestens einen Kopf. Direkt in der Mitte des Wagens sitzend, spüre ich, wie die Japaner mich beobachten. Aber wenn ich aufblicke und sie dabei erwischen will, wie sie mich anstarren, stellen sie
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