Aber dann kam der Sommer
flehte ich unentwegt zu meinen Hausgöttern, einerseits meine Kekse wohlgelingen zu lassen, andererseits Mutter und Vater so rechtzeitig zur Umkehr zu bewegen, daß sie noch vor der Tante zu Hause eintrafen.
Die Vorortbahn braucht eine halbe Stunde von der Stadt bis zu uns, hinzu kommt noch ein Fußweg von etwa zehn Minuten. Also war ich überzeugt, es müßten die Eltern sein, als es an der Haustür klingelte – ich hatte ja nicht mit Tante Agnetes Privatwagen und ihrem Fahrer gerechnet.
Da saß sie nun in all ihrer Pracht in unserem besten Sessel – mit Brillanten in den Ohrläppchen, einer Stiellorgnette in der Hand, Smaragdringen an den Fingern und einer Pelzstola um die Schultern. Und plötzlich sah ich, daß die Tapeten verschossen und die Gardinen gestopft waren und daß der Fußboden an den Stellen, wo der Teppich nicht hinreichte, keine Farbe mehr hatte – Dinge, die ich bisher nicht bemerkt hatte.
Ich schoß umher wie ein geölter Blitz, bis ich endlich mitten in der Küche mit der Teekanne in der Hand zum Stehen kam und streng zu mir sagte: „Unni, du bist ein Schafskopf! Tante Agnete ist doch bloß ein Mensch, auch wenn sie in Diamanten und Geld schwimmt. – Nimm dich zusammen!“
Also nahm ich mich zusammen. Tante Agnete und ich tranken den Tee allein. Zu meinem Glück war mir das Gebäck gelungen, und Tante war von der Erdbeermarmelade geradezu begeistert. Sie forschte mich bis in die letzten Einzelheiten aus, wie es ihr gutes Recht war auf Grund ihrer Stellung in der Familie, des traditionellen Zehnkronenscheins, den ich von ihr zu Weihnachten bekam, und des Geldes, das sie Vater geliehen hatte, damit er unser Haus kaufen konnte. So erzählte ich ihr, daß Esther ins Gymnasium ginge, daß Tor im nächsten Jahr konfirmiert werde, und daß ich selber…
„Ja eben, was machst du eigentlich, Unni?“ unterbrach mich die Tante. „Arbeitest du nicht in einem Büro?“
„Jetzt nicht mehr! Die Firma mußte sich einschränken, und so wurde mir gekündigt.“
„Du hast also nun gar keine Arbeit mehr?“
„O doch! Ich mache den Haushalt und bekomme von Vati den Hausangestelltenlohn.“
„Aha! Soso!“ sagte die Tante gedehnt und offensichtlich verwundert. Sie schwieg eine Weile, ehe sie fortfuhr: „Aber das ist doch nichts für deine Zukunft, Unni. Hast du noch gar nicht darüber nachgedacht, ob du nicht etwas anderes tun könntest?“
„O doch, das habe ich, verlaß dich drauf! Ich ärgere mich jetzt, daß ich nicht das Lehrerseminar besucht habe, wie Vati es mir seinerzeit angeboten hatte. Nein, ich wollte unbedingt ins Büro – und da sitz’ ich nun!“
„Aber du bist doch noch nicht zu alt, um das Versäumte nachzuholen und jetzt aufs Lehrerseminar zu gehen.“
„Das nicht, aber nun kann Vati es nicht mehr. Esther möchte schrecklich gern Philologie studieren, und Tor wünscht sich nichts sehnlicher, als Ingenieur zu werden. Da kannst du dir sicher vorstellen, welche hohen Ausgaben ihm bevorstehen.“
Kaum war es gesagt, bereute ich es schon. Hoffentlich dachte die Tante jetzt nur nicht, daß ich bei ihr schnorren wollte. Ich beeilte mich, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben.
„Nun erzähle mir aber bitte mal, liebe Tante, wie es bei dir aussieht.“
„Genauso wie seit Jahren. Der letzte Winter war allerdings ein wenig netter und unterhaltsamer. Ich hatte mich im Herbst endlich einmal aufgeschwungen und mir eine Gesellschaftsdame genommen.“
„Und sie hat es dir behaglich gemacht, Tante Agnete?“
„Ja, es war richtig angenehm, sie um sich zu haben – eine kultivierte junge Dame aus sehr guter Familie. Ihr Vater ist Oberstleutnant. Aber nun hat sie sich mit meinem Hausarzt verlobt. Nächste Woche heiraten sie.“
„Denk mal an, wie nett für sie!“ sagte ich, und in diesem Augenblick wurde der Schlüssel in die Haustür gesteckt.
Es waren – mein Glück! – Mutti und Vati. Ich brühte frischen Tee auf und bestrich weitere Kekse mit Erdbeermarmelade. Von nun an drehte sich das Geplauder um Onkel und Tanten, Großonkel und Großtanten, die ich nie gesehen hatte, und Vati holte ein dickes Buch hervor, eine Familienchronik, die irgendein pensioniertes Mitglied der Verwandtschaft mit viel Zeit und Energie zusammengestellt hatte.
Als ich wieder einmal aus der Küche hereinkam, riß das Gespräch ab. Das bewies mir nur zu deutlich, daß man von mir gesprochen hatte.
Kurze Zeit später brach Tante Agnete auf. Die Abschiedszeremonie wurde mit
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