Aber dann kam der Sommer
mit Roar Schluß gemacht hätte. Nun saß ich am Fenster meines hübschen Mansardenstübchens und sollte einen Brief schreiben, der noch viel schwieriger abzufassen war. Daß ich die Verlobung mit einem Leutnant löste, mochte für sie noch angehen, daß ich mich aber mit einem Bauern verlobte, das würde mir Tante Agnete nie verzeihen.
Ich brauchte mindestens drei Stunden, um diesen Brief so zu schreiben, daß ich fand, ich könnte ihn abschicken. Dann ritt ich auf Dyveke zur Post. Nun grüßten mich alle mit einem herzlichen Lächeln, alle hatten ein paar freundliche Worte für mich, und der kleinste Junge von Voldens durfte vor mir auf dem Sattel sitzen und ein Stück durchs Dorf reiten. Die größeren Jungen des Ortes rissen sich darum, Dyveke zu halten, während ich in der Post war, und das Pferd wurde mit Zuckerstückchen und Brot verwöhnt.
Auf der Poststelle lag ein Telegramm für mich. Die Posthalterin wollte eben einen Boten damit zu mir hinaufschicken. Ich riß es auf, voller Sorge, es könne etwas Schlimmes darin stehen.
„Unsere liebe Agnete entschlief heute nacht still an einem Herzschlag – unterrichte die Familie – Tante Hanna.“
Ich stand eine Weile wie erstarrt. Dann ritt ich spornstreichs nach Tangen.
„Was soll ich tun, Rune?“
„Du brauchst gar nichts zu tun, Liebling, nichts anderes, als zu Mutter hineinzugehen und dir eine Tasse Kaffee geben zu lassen. Ich werde alles für dich erledigen.“
Ich saß auf einem Schemel zu Füßen von Mutter Kersti und fühlte ihre gute, rauhe Hand über meinen Kopf streicheln. So weinte ich mich in ihrem Schoß aus. Vielleicht hatte ich Tante Agnete nicht gerade liebgehabt, aber sie hatte trotz allem einen Platz in meinem Herzen, und sie hatte mir so viel Gutes getan.
Am liebsten wäre ich gleich nach Tangen übergesiedelt, aber Rune wollte es nicht.
„Du bist es deiner Tante schuldig, daß du auf dem Posten bleibst, auf den sie dich gesetzt hat“, meinte er. „Du mußt auf Kollen bleiben, bis die Familie kommt und alles ordnet.“
Die Tage waren lang und still. Endlich kamen Ditlef und Else und holten mich in die Stadt, als Tante Agnetes Sarg dort erwartet wurde. Rune nahm an der Beisetzung teil. Oh, wie gut war es, ihn in dieser Zeit neben sich zu haben.
Am gleichen Tag wurde das Testament eröffnet. Es war lang und inhaltsreich. Die größte Summe erhielt die kleine Agnete, dann folgten die anderen Kinder von Ditlef und Else. Ein großer Teil ging auch an die Familie von Onkel Franz, aber zu ihr gehörten so viele, daß für jeden einzelnen nicht viel blieb. Außerdem gab es noch Schenkungen an verschiedene wohltätige Vereine.
Das Testament war schon vor ein paar Jahren aufgesetzt worden, doch es enthielt noch einen Zusatz, der erst vor vier Monaten hinzugefügt worden war. Er lautete:
„Unni Björk, der Tochter meines Neffen, vermache ich zwanzigtausend Kronen, mein Perlenhalsband, meinen Nerzmantel und meinen Hund Nipp.“
*
Der Haushalt der Tante war aufgelöst, Kollen verkauft.
Christopher mit ph schnaubte. Denn Ditlef hatte den Flügel geerbt, von dem Ph mit Sicherheit angenommen hatte, er werde ihn bekommen. Und Tante Antoinette war neidisch auf Tante Hanna, weil sie den Breitschwanzmantel erhalten hatte. Tante Hanna sagte auf ihre milde Art: „Denk daran, daß Ditlef den chinesischen Schrank bekommen hat, von dem ich glaubte, Agnete würde ihn mir geben.“
In all dieser Aufregung über Verkauf und Aufteilung von Tante Agnetes Heim fand niemand Zeit, groß zur Kenntnis zu nehmen, daß ich inzwischen eine Verlobung gelöst hatte und eine neue eingegangen war. Man wunderte sich wohl ein wenig darüber, dachte aber nicht weiter über mich nach. Jeder hatte mit sich selbst zu tun.
*
In der großen Stube auf Tangen sitzt Mutter Kersti in ihrem Lehnstuhl am Fenster, und ich hocke auf dem Schemel vor ihr. Auf dem Sofa sitzen meine Mutter und Borgny, am Fenstertisch unterhalten sich Vati und Rune über Ibsen.
Ich konnte meinen Eltern die Reise hierher schenken. Sie sind Erster Klasse gefahren und haben es feiner gehabt als je zuvor. Mutti hat den Nerzmantel von mir bekommen, und wenn ich demnächst nach Hause fahre, um dort meine Hochzeit zu feiern, werden sich in meinem Koffer ein Paar Kunstlaufschlittschuhe und vieles andere mehr für Esther und Tor befinden. Die Hochzeit soll daheim bei Mutti und Vati gefeiert werden – mit Nora und Esther als Brautjungfern. Aber vorerst sind die Eltern für vierzehn Tage
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