Aber dann kam der Sommer
nach Tangen gekommen, um mein neues Heim kennenzulernen.
„Du mußt kommen, Mutter Kersti“, bitte ich, „du sollst ganz fein reisen, ich besorge dir eine Flugkarte. Wir können unmöglich ohne dich Hochzeit feiern.“
„Wir wollen sehen“, sagt Mutter Kersti lächelnd und streicht über meinen Kopf, wie sie es oft tut, „du wirst wohl keine Ruhe geben, ehe ich ja sage.“ Die Hand auf meinem Kopf bleibt still liegen, und ich weiß, daß Mutter Kersti nachdenkt. Endlich fährt sie fort: „Nun wirst du die Jungbäuerin auf unserem Hof sein, kleine Unni. – Und ich werde aufs Altenteil ziehen.“
Rune und ich widersprechen lebhaft. Doch Mutter Kersti erwidert:
„So ist es auf Tangen anderthalb Jahrhunderte lang gehalten worden. Die Jungbäuerin soll nicht ständig die Alte an sich hängen haben. Ich mag nicht umherlaufen und dreinreden, so daß meine Kinder meiner überdrüssig werden.“
„Aber wir brauchen dich doch, Mutter Kersti“, wende ich ein.
„Wenn du Rat und Hilfe brauchst, kommst du zu mir ins Altenstübchen. Und wenn du lieb darum bittest, komme ich auch und helfe dir beim Backen und Schlachten. Aber im übrigen sollst du es sein, die zu mir kommt. Dann werden wir manches gemütliche Kaffeestündchen bei mir haben – die geblümten Tassen nehme ich mit“, fügt Mutter Kersti lächelnd hinzu.
Rune umfaßt uns beide zugleich mit seinem lächelnden Blick.
Wenn ich das ganze Jahr im Geiste an mir vorüberziehen lasse, ist es mir, als sei ich im Kino gewesen und hätte einen spannenden Film gesehen. Spannend, amüsant – aber anstrengend. Und nun ist es gut, wieder nach Hause zu kommen. Ich habe irgendwie das Gefühl, daß ich es nicht bin, die dieses Jahr erlebt hat. Es war ein Film oder ein Traum.
Nein, doch nicht ganz.
Denn ein Traum kann kein lebendiges Reitpferd hinterlassen, das im Stall steht und Hafer malmt, oder ein Hündchen, das im Augenblick mit dem Kopf in Borgnys Schoß schläft, oder ein Bankbuch über fast zwanzigtausend Kronen, das in Runes allergeheimstem Schubfach eingeschlossen liegt.
Und wäre es ein Traum gewesen, hätte ich ja jetzt Rune nicht und Mutter Kersti, und nicht den Tangen-Hof, auf dem ich in vier Wochen die „Jungbäuerin“ sein werde.
Ich blicke zu Mutter Kersti auf und gelobe mir im stillen, auf ihrer Spur weiterzugehen.
Ich seufze tief vor lauter Glück und sehe mich noch einmal um in der niedrigen Stube mit der Balkendecke.
Dann lächele ich Rune zu und lege meinen Kopf an Mutter Kersti.
Hier gehöre ich hin.
Ende
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