Aber dann kam der Sommer
gegen mich sein, daß ich so zeitig gekommen war und die gnädige Frau nun trotz Kopfschmerzen das Bett verlassen mußte?
Louise schien zu ahnen, was ich dachte, denn sie fuhr fort: „Die gnädige Frau pflegt sonst das Frühstück im Schlafzimmer einzunehmen. Aber heute hat sie mir Bescheid gegeben, ich solle den Tisch hier unten decken, weil Sie gekommen sind, gnädiges Fräulein.“
„Ach…“ sagte ich.
Louise verschwand, und wieder vergingen ein paar qualvolle Minuten. Wie war denn nun Tante Agnete wirklich? Ich kannte sie praktisch überhaupt nicht. Wie war der Mensch, dessen Wille hinter all dem hier stand, diesem gut geführten Haus, dem gut geschulten Personal, der gut geschmierten Maschinerie, die so lautlos und fehlerfrei lief? Margits ängstlich-unterwürfiger Tonfall fiel mir wieder ein, wie sie vorhin flüsterte: „Das ist das Zimmer der gnädigen Frau!“ Es hieß doch eindeutig: „Das Allerheiligste! Pst, leise gehen!“
Der Hund lief zur Tür. Er hatte wohl jemanden kommen hören. Und richtig – da war sie! Sie sah wahrhaftig schlecht aus. Die Haut war bleich und faltig, die Augen blickten matt. Die Tante bewegte sich schwerfällig und langsam an einem Stock. Ich ging auf sie zu, ergriff die Hand, die sie mir reichte, überlegte einen Augenblick, dann küßte ich ihre Wange.
„Guten Tag, Tante Agnete! Ich danke dir tausendmal, daß ich zu dir kommen durfte.“
Die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. „Willkommen, Unni! – Setz dich her, du wirst sicher hungrig sein.“
„Ja, ich freue mich schon richtig auf den Morgenkaffee.“
„Kaffee? Ach so, nun, dem wird wohl nichts im Wege stehen.“
Was? Hatte ich etwas Falsches gesagt? Oh, ich hätte mir die Zunge abbeißen mögen! Jetzt sah ich nämlich, daß Tante Agnete Tee mit Zitrone trank.
„Louise, meine Nichte zieht es vor, zum Frühstück Kaffee zu trinken.“
„Sehr wohl, gnädige Frau! Er wird gleich fertig sein.“
Ich wurde rot wie die Tomaten auf dem Frühstückstisch, als ich widersprach. Aber um Himmels willen, nein, ich tränke doch ebenso gerne Tee, die Tante möge doch nur nicht glauben…
Aber ich lernte hierbei, daß die Tante glaubte, was sie glauben wollte, besonders an den Tagen, wenn sie Kopfschmerzen hatte.
Ich bekam meinen Kaffee – dampfend, heiß und stark, einen herrlichen Kaffee! Er blieb mir fast im Halse stecken. Und ich notierte still für mich: Schnitzer Nummer eins!
Tante Agnete fragte nach den Lieben daheim, es waren müde, höfliche Fragen, und ich antwortete darauf, obwohl ich genau wußte, daß die Tante gar nicht hörte, was ich sagte. Ich fragte, wie es ihr ginge, und erklärte ihr, wie glücklich ich über das hübsche Zimmer sei, das ich bekommen habe. Das freue sie sehr, sagte sie, und dann fanden wir nichts mehr, worüber wir uns unterhalten konnten. Da kam wiederum das kleine Strubbelknäuel zu Hilfe. Es baute sich neben meinem Stuhl auf und blickte mich fragend an.
„Was für einen niedlichen, kleinen Hund hast du da, Tante“, sagte ich.
Ihre Miene hellte sich auf. Mit einem Male schienen Kopfschmerzen und Müdigkeit vergessen zu sein. Sie streckte die Hand aus, und der Hund lief zu ihr. Sie goß ein wenig Sahne in ein Schälchen und bat mich, es dem Knäuel vorzusetzen. Danach bekam es ein weichgekochtes Ei und geröstetes Brot.
„Das ist ein Yorkshire-Toy-Terrier“, erklärte mir die Tante. „Vor mehreren Jahren hatte dein Onkel die Eltern von ihm aus England mitgebracht. Zweitausend Kronen hat er für jedes der beiden Tiere bezahlt. Du siehst also, was für ein wertvoller Hund das ist. Beide Eltern waren hochprämiert. Nun ist nur noch dieser hier da. Seine Mutter starb bei der Geburt, so daß wir ihm eine Hundeamme beschaffen mußten.“
Du liebe Zeit! Tante Agnete war richtig gesprächig geworden. Ich begriff, daß ich hier auf ein Thema gestoßen war, auf das man im Notfall jederzeit ausweichen konnte.
„Ein bezaubernder kleiner Hund“, beteuerte ich, „wie heißt er denn?“
Er hatte einen langen Namen, auf den ich mich nicht mehr besinnen kann. Für den täglichen Gebrauch wurde er „Nipp“ genannt.
Und nun wurde ich eingeweiht in Nipps ungewöhnliche Intelligenz, in seine Pflege, das Füttern und Baden und die regelmäßigen Besuche beim Tierarzt, und ich erfuhr von mißgünstigen Freundinnen, die auch so gern einen Hund wie Nipp besäßen. Und als wir uns von der Mahlzeit erhoben, berichtete mir die Tante, daß Nipp nun gebürstet werden
Weitere Kostenlose Bücher