Abgang ist allerwärts
wissen.«
Ich bedankte mich, und verließ erleichtert das Haus im Norden Berlins. Alle Befürchtungen, alle Zweifel, die ich am Morgen und auch noch vor dem Gespräch mit Wiesheim gehabt hatte, hatten sich nicht bewahrheitet. Ich erinnerte mich an die bösartigen Witze, die von einigen Kollegen über Wiesheim und seine Bücher gemacht worden waren, und über die ich, wie auch alle anderen, jedes Mal laut gelacht. Jetzt schämte ich mich dafür. Als ich wieder im Auto saß, erschien mir alles, was in den letzten Stunden passiert war, unwirklich. Wie ein Kapitel aus einem Roman, der auf ein Happyend zusteuert. Mit einem geradezu euphorischen Hochgefühl, als ob mir jemand eine Zentnerlast von den Schultern genommen hätte, fuhr ich zurück in Richtung Alexanderplatz.
Es geht also seinen Gang. Ich begann eine Liste aufzustellen, mit den Dingen, die in den nächsten Tagen erledigt werden mussten. Alles das, was mit dem Ende meines Daseins in diesem Halbland zu tun hatte. Kein Wunder, dass ich mir dabei wie ein Nachlassverwalter vorkam. Ich kam zügig voran, aber als ich bei seinen Aufzeichnungen zum Kapitel Hohenfeld kam, stockte ich. Das, was ich dort noch zu tun hatte, war nicht auf einer Liste abzuarbeiten. Das einzige, das ich irgendwie schriftlich festhalten musste, war das Schicksal meines Hauses. Ich setzte mich an die Schreibmaschine und verfasste ein kurzes Schriftstück, in dem ich bestimmte, wer über mein Haus nach meinem Weggang verfügen konnte. Danach setzte ich mich wieder, ohne noch lange zu überlegen in mein Auto, und fuhr in Richtung polnischer Grenze. Was jetzt vor mir lag, war wohl der schwierigste Teil meines Abschieds. Mein Weg führte mich nicht direkt ins Dorf, sondern zuerst zu Gisbert. Als ich an seinem Haus anlangte, stand Hildegard auf der Terrasse und winkte mir zu. Ich stieg langsam aus dem Auto und ging auf sie zu, plötzlich verschwand das Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie ahnte wohl, weshalb ich gekommen war. Sie umarmte mich zur Begrüßung, sah mich unsicher an und fragte dann: «Es ist soweit, nicht wahr?« Ich nickte wortlos.
»Gisbert ist nicht da, er musste zu einem Unfall, es ist wieder einer mit dem Moped verunglückt, schon der dritte in dieser Woche, einer mit tödlichem Ausgang, der Sohn vom Fischer, siebzehn war der Junge. Wann ist es soweit?«
»Vielleicht in zwei, drei Wochen, hoffe ich.« Wir gingen ins Haus und sie bot mir einen Kaffee an.
»Wissen sie es in deinem Dorf schon?« Ich schüttelte den Kopf. Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann ging sie in die Küche, und ich sah durch das große Fenster auf den See, auf dem eine Schar Wildenten friedlich auf den leichten Wellen schaukelte, bis etwas sie aufschreckte. Es war Gisberts Auto, das in hohem Tempo näher kam. Er hielt vor der Terrasse, sprang aus dem Wagen, seine schwere schwarze Ledertasche in der Hand und lief mit federnden Schritten auf das Haus zu.
Unsere Begrüßung war wie immer herzlich, aber anders als Hildegard schien Gisbert nichts zu ahnen.
»Treibt dich die Neugier, wie die Sache mit Kanzog und Schliemann ausgegangen ist? Dem Anschein nach sind alle zur Tagesordnung übergegangen, Kanzog ist immer noch Lehrer und Schliemann nach wie vor der Hauptökonom, er hat mir allerdings im Vertrauen gesagt, dass er weg will, das Klima auf dem Volkseigenen Gut ist ausgesprochen eisig seit seiner Rede. Im Grunde also Schweigen im Walde, aber das kennst du ja am besten.«
»Das Schweigen ist zuende«, sagte ich langsam und vermied es dabei, ihn anzusehen »In zwei bis drei Wochen bin ich vielleicht schon auf der anderen Seite der Mauer, für immer.«
Gisbert ließ sich auf die große Couch am Fenster fallen und starrte mich ungläubig an. Dann rief er laut: »Hildegard! Hast du schon gehört!? Es ist Zeit für den Krimsekt!«
Und als hätte sie nur auf ihr Stichwort gewartet, stand Hildegard plötzlich in der Tür mit einem Tablett auf dem der schon gekühlte Sekt und drei Gläser standen.
Ich erzählte den beiden, was sich an diesem einen Tag alles abgespielt hatte. Von Zeit zu Zeit hatten sie über das, was sie hörten, ungläubig den Kopf geschüttelt. Wir tranken die Flasche aus und langsam wandelte sich die anfängliche Freude in Beklommenheit und schließlich in Traurigkeit. Sie wussten, dass es ein Abschied für immer sein würde, zumindest für sehr lange Zeit, denn es war klar, dass ich nach meinem Auszug gen Westen für diese Hälfte des Landes zur persona non grata würde. Das war eine der
Weitere Kostenlose Bücher