Abgebrezelt
muss ich schon sagen.«
»Sie dürfen das natürlich finden, wie Sie wollen. Auf Wiedersehen«, sagt Caro und schiebt ihn wahrscheinlich zur Tür. Tatsächlich. Ich höre, wie die Wohnungstür geöffnet und wieder geschlossen wird. Felix ist anscheinend weg.
»Kommst du jetzt da raus?«, fragt mich Caro genervt.
»Nein!«
»Jessi! Bitte! Wenn du nicht rauskommst, dann gehen wir!«
»Dann geht!«
»Okay! Und sag Bescheid, wenn du was brauchst.«
Die Tür geht zum zweiten Mal, dann ist alles still. Ich warte noch ein paar Minuten, bis ich sicher bin, dass keiner mehr da ist, dann verlasse ich das Bad. In der Küche stehen noch die drei Gläser und die beiden Flaschen Sekt. Die eine ist halb voll, und ich schenk mir noch ein Glas ein. Sind ja sowieso nur leere Kalorien.
SECHZEHN Weng Ar Hong
Am nächsten Nachmittag sitze ich im Schneidersitz mitten in meinem halb möblierten Wohnzimmer. Auf meinen Knien liegt der 400-Seiten-Schinken, den mir die Homöopathin gestern mitgegeben hat und den ich wieder aus der Ecke gezogen habe, in die ich ihn gestern geschmissen habe. »Seele-Geist-Körper-Medizin«! Angeblich ein absolutes Standardwerk in Sachen Selbstheilung. Ich finde, das ist ein bisschen so, als wenn der Hausarzt einem bei einer Nasennebenhöhlenentzündung den Pschyrembel mit nach Hause gibt. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal so verzweifelt sein würde, dass ich diesem Öko-Esoterik-Quatsch eine Chance gebe.
Frau Urgebrecht ist der Meinung, dass es vor allem meine Seele ist, die krank ist und ich die zuerst heilen müsste. Geist und Körper würden dann von ganz alleine folgen. Für die Heilung meiner Seele und damit folgend auch für die Heilung von meinem Matschauge, dem Ausschlag und der dicken Lippe hab ich mich – auch weil es schnell gehen soll – für die »Heilungin-einer-Minute«-Methode entschieden. Glaubt man dem Buch, kann man mit dieser Methode jedes Unwohlsein des »psychischen, emotionalen, mentalen und spirituellen Körpers« in einer lächerlichen Minute heilen. Bei mir sind alle Körper von großem Unwohlsein betroffen!
Um sich erfolgreich damit zu heilen, ist es allerdings extrem wichtig, dass man entspannt ist. Aber wie bitte soll ich mich entspannen, wenn ich – den Anleitungen des Buches folgend – mit gesenktem Kinn, steifem Rücken, der Zungenspitze am Gaumen und zusammengezogenem Anus auf meinem harten Wohnzimmerboden hocke? Entspannung und zusammengekniffener Arsch passt für mich nur bedingt zusammen. Ich versuche es trotzdem.
Meine Hände halte ich mit den Handflächen nach oben vor meinem Körper, die linke über dem Bauchnabel, die rechte darunter. Dann muss ich das Weng Ar Hong, das mächtigste Mantra des alten China, grüßen und um gewünschte Heilung bitten. Ich vergewissere mich, dass ich alle Fenster geschlossen habe, räuspere mich und sage mit lauter Stimme: »Liebe Seele, lieber Geist und lieber Körper des Weng Ar Hong, ich liebe euch und schätze euch. Bitte heilt mein entstelltes Gesicht. Ich fühle mich geehrt und gesegnet. Danke.« Weil in meinem Wohnzimmer fast keine Bilder mehr an der Wand hängen, hallt mein Stimme unangenehm in den Ohren. Dann beginne ich mit dem Weng-Ar-Hong-Mantra an sich, das ich laut in einer Art Sprechgesang von mir gebe. Bei »Weng« soll ich an ein rotes Licht im Kopf, bei »Ar« an ein weißes Licht in der Brust und bei »Hong« an ein blaues Licht im Bauch denken. Ich verdränge den Gedanken, dass das wirklich vollkommen bekloppt und lächerlich ist und versuche an das zu glauben, was ich hier tue. Vielleicht versetzt der Glaube nicht nur Berge, sondern auch hängende Augenlider.
»Weeeeeeeeeeeeng … rotes Licht im Kopf … Arrrrrrrrrrrr … weißes Licht in der Brust … Honggg … blaues Licht im Bauch« und einatmen. Dann gleich noch mal »Weeeeeeeeeeeeng … rotes Licht im Kopf … Arrrrrrrrrrrr … weißes Licht in der Brust … Honggg … blaues Licht im Bauch« und einatmen. Ich komme zunächst durcheinander, weil ich mir nicht merken kann, welches Licht in welchem Körperteil weiß oder blau leuchtet. Doch nach einer Weile komme ich gut rein und wiederhole das Mantra fehlerfrei zehnmal.
Erleichtert klappe ich das Buch zu und warte auf Heilung. Nach einer Minute berühre ich vorsichtig meine Lippe. Leider fühlt sie sich noch genauso dick an wie vor dem Mantra. Auch mein Auge scheint unbeeindruckt ob des mächtigen Weng-Ar-Hong. Vielleicht hab ich es nicht richtig gemacht? Nicht laut genug? Ich klappe das Buch
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