Abgebrezelt
seine Hand, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Meine Geste treibt wieder ein kleines Lächeln in sein Gesicht und ich bin erleichtert, hoffe aber gleichzeitig, dass er meine Geste als das erkennt, was sie ist, nämlich als eine rein freundschaftliche.
Die Abstände zwischen den Häusern werden immer größer, was mir zeigt, dass wir bereits im Ü-150 000-Netto-Viertel angekommen sind. Die Häuser weichen außerdem immer weiter von der Straße weg und versuchen sich hinter großen Tannen und perfekt geschnittenen Hecken zu verstecken. Christians Navigationssystem zeigt an, dass wir noch zweimal abbiegen müssen und dann an unserem Ziel angekommen sind. Eine Ecke später gebe ich ihm ein Zeichen, dass er anhalten und das Licht ausmachen soll. Hier ist so wenig los, dass jedes Auto auffällt. Ein Segen, dass der Prius fast nicht zu hören ist, auch wenn ich gestern noch aus genau diesem Grund davorgerannt bin.
»Bist du dir wirklich ganz sicher, dass du das machen möchtest?«, fragt mich Christian noch mal.
»Ich bin ganz sicher, Christian, und ich möchte außerdem, dass du jetzt einfach nach Hause fährst. Ich will dich in nichts mit reinziehen. Ich komm schon irgendwie wieder in die Stadt. Versprochen?«
Er nickt zaghaft. Dann greife ich mir den Rucksack mit den Sprühdosen, den ich auf die Rückbank geschmissen habe, steige aus dem Wagen und schließe ganz leise die Autotür. Es ist unglaublich still in Marienburg. Kein Anzeichen für die Existenz von menschlichem oder tierischem Leben, noch nicht mal Hundescheiße auf dem Gehweg. Ich habe nicht den Schimmer einer Ahnung, warum man hier wohnen will, außer vielleicht wenn man homophob ist oder so aussieht wie ich. Allerdings muss ich zugeben, dass auf Roland meines Erachtens beides nicht zutrifft und auf seine Frau wahrscheinlich auch nicht.
Rolands Haus versucht sich hinter ein paar Bäumen zu verstecken, was ihm aber nicht ganz gelingt, weil die Bäume noch ziemlich jung und lichtdurchlässig sind. Ich stehe vor dem Holzzaun und schaue durch eine Tannenlücke zu dem zweistöckigen Gebäude. Es ist weiß, modern und groß, Stilrichtung Bauhaus würde ich sagen. Geschmack hat er ja, der Arsch.
Vor dem Haus befindet sich der obligatorische Basketballkorb für die verwöhnten und amerikanisierten Neureichen-Blagen und natürlich eine große Terrasse mit feinsten Teakholzmöbeln und einem High-Tech-Monster-Gas-Grill, der wahrscheinlich so viel gekostet hat wie ein gebrauchter Kleinwagen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie Roland hier Tofuburger und Biobratwürste auf den Grill schmeißt und einen auf glückliche Familie macht.
Mein Blick schweift über das Haus. Auf beiden Etagen brennt kein Licht, so wie ich es mir gedacht habe. Ich bin mir sicher, dass MrQuacksalber bereits mit seiner Gattin im Bett liegt und pennt. Roland ist schon immer früh ins Bett gegangen, was mir damals fürchterlich auf die Nerven ging. Spätestens um halb elf kam das erste Gähnen und exakt zehn Minuten später der Satz »So, schon spät, ich geh dann mal ins Bett« und das auch, wenn ein Film, den wir uns den ganzen Abend lang angesehen haben noch lief, unabhängig davon, ob er gut oder schlecht war. Auch am Wochenende. Heute bin ich froh darüber, dass er so unglaublich spießig ist. Neben dem Haus entdecke ich die Einfahrt zu einer riesigen Doppelgarage, in der locker zwei Hummer Platz hätten. Ist ja auch wichtig, dass Frauchen ihren schnuckeligen BMW sicher parken kann und nicht aus dem Auto steigen muss, um das Garagentor zu öffnen. Ein Regentropfen könnte ihr die 120-Euro-Frisur verwüsten oder das zarte Chanelkleidchen versauen. Meine Phantasie geht mit mir durch, ich kenne die Frau noch nicht mal.
Gott sei Dank ist der Zaun an dieser Stelle nicht so hoch, so dass ich kein Problem haben werde, darüberzuklettern. Das Wichtigste ist allerdings: Man kann die Garage hervorragend von der Straße aus sehen. Schließlich sollen ja auch oder insbesondere die Nachbarn was von meiner kleinen bunten Aktion haben. Ich schiebe die Tüte mit den Spraydosen durch den Zaun und klettere ziemlich ungeschickt über die spitzen Holzpfosten. Gebückt schleiche ich mich zu den Garagen, immer den Blick auf das Haus gerichtet, ob sich was tut. Der Kies knirscht unter meinen Turnschuhen. An den Garagen angekommen, nehme ich mir sofort eine der beiden Sprühdosen und fange an, in den größtmöglichen blutroten Buchstaben an die Garage zu sprühen. Ich schreibe so groß, dass das Wort
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