Abgebrezelt
Armen, zieht mich hoch und schiebt mich dann ins Wohnzimmer.
»So, Sie setzen sich jetzt mal hier hin … – nanu, haben Sie … gar kein Sofa?
ZWANZIG Kurzurlaub
Ich erzähle Christian von den verkauften Möbeln, von meinem attraktiven Ex und von meiner Geburtstagsfeier, auf der ich besonders gut aussehen wollte. Und natürlich erzähl ich ihm auch, dass Roland mein Gesicht absichtlich zu Klump gespritzt hat. Ich nehme sogar meine Sonnenbrille ab und zeige Christian mein Matschauge mitsamt Ausschlag, was ihn aber wenig beeindruckt, zumindest lässt er es sich nicht anmerken.
»Sind Sie wirklich sicher, dass er das mit Absicht gemacht hat?«, fragt er mich.
»Ganz sicher! So schlecht kann doch kein ausgebildeter Arzt sein. Außerdem hab ich ihn betrogen, er hat also ganz eindeutig ein Motiv!«
»Aber sagten Sie nicht, dass Ihr Ex, also dieser Roland, mittlerweile verheiratet ist und Kinder hat? Ich meine, das Ganze ist dann doch schon ein paar Jährchen her, oder?«
Ich nicke. »Roland war schon immer ein Mensch, der einem alles ewig nachträgt. Er hat mir zum Beispiel vorgehalten, dass ich aus Versehen all seine Kontakte im Handy gelöscht habe. Tagelang!«
»Nun ja, das ist ja auch ziemlich ärgerlich … «
»Na toll! Erst überfahren Sie mich, und dann nehmen Sie auch noch diesen Botox-Terroristen in Schutz … «
Mein Magen fängt plötzlich an zu knurren, und zwar so laut, dass auch Christian es hört. Außer der Schokolade hab ich heute noch nichts gegessen.
»Wissen Sie was? Ich mach jetzt mal das Malheur im Flur weg, und dann, also wenn Sie erlauben, mach ich Ihnen was Schönes zu essen. Ich glaube, Sie können es vertragen.« Ich will gerade anfangen zu protestieren, aber er lässt mich erst gar nicht zu Wort kommen. »Keine Widerrede! Sie bleiben hier sitzen und ruhen sich ein bisschen aus.«
Dann steht er auf und verlässt den Raum. Ich höre ihn erst im Flur und dann in der Küche hantieren und bin sehr froh, dass ich mich nicht rühren soll, obwohl es mir natürlich schon ein bisschen peinlich ist, dass ein fremder Mann meine verschütteten und verdorbenen Essensreste wegputzt und in einer total versifften Bude auch noch für mich kocht. Ein paar Minuten später bin ich auf meinem Sitzkissen eingeschlafen.
Ich träume gerade davon, wie ich Roland meinen Namen – und zwar den kompletten – auf sein bestes Stück tätowiere, als Christian mich weckt. Erst erschrecke ich fürchterlich, was nicht nur an dem Traum liegt, sondern auch an diesem kontinentgroßen Feuermal, das sich ungefähr zehn Zentimeter vor meinem Gesicht befindet. Ich hoffe, dass er das nicht gemerkt hat, wenn, lässt er es sich zumindest nicht anmerken.
Wir gehen durch den mittlerweile gereinigten Flur in die Küche, und ich bin echt gerührt. Alles ist aufgeräumt, es riecht herrlich nach frischer Pasta, mein kleiner Tisch ist für zwei gedeckt, mit Servietten und allem drum und dran. Die Flasche Weißwein steckt in dem Kühler, den ich schon lange nicht mehr benutzt habe, weil der Wein gar nicht so schnell warm werden konnte, wie ich ihn getrunken habe. Ich stehe ganz verschüchtert in meiner eigenen Küche. Christian bemerkt es und schiebt einen der Stühle zurück, damit ich mich setzen kann. Auf dem Stuhl liegt ein Kissen für mein angeschlagenes Steißbein. Der Mann denkt mit und hat Benehmen. Wahrscheinlich ist das der Ausgleich für sein, na, sagen wir mal, suboptimales Aussehen.
Vielleicht sollte ich auch mal drüber nachdenken, ob ich zukünftig nicht etwas höflicher sein sollte. Christian setzt sich ebenfalls an den Tisch und füllt die Wein- und Wassergläser. Fast könnte man meinen, er hätte mich zu einem romantischen Dinner eingeladen. Aber das ist meine Wohnung und mit diesem Mann könnte ich niemals ein romantisches Dinner haben, auch wenn er nett ist und wir rein äußerlich im Moment ganz gut zusammenpassen würden. Allerdings mit dem Unterschied, dass mein miserabler Zustand vorübergehend ist, während er wohl bis an sein Lebensende so aussehen wird. Ich finde ja, dass der liebe Gott ihm zumindest die Haare hätte lassen können, aber Gott hat wahrscheinlich andere Probleme.
Trotz so geballter Hässlichkeit an einem Tisch genieße ich den Abend in vollen Zügen. Endlich mal nicht alleine angesoffen vor dem Fernseher hängen, endlich kein Fastfood auf einem schokoladenfleckigen Sitzkissen, endlich muss ich mich mal nicht verstecken. Ich sitze ohne Mütze und Schal, allerdings mit Brille, am Tisch
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