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Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Schmidt
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Rademann habe ich unter Osama eingespeichert, mein Vermieter heißt Saddam und Frau Kaufmann von der Sparkasse ist die Blutgräfin. Hätte Herr Rademann mobil angerufen, wäre das mit der zugegeben leicht unhöflichen Begrüßung gar nicht erst passiert.
    Ich suche mein Handy und finde es unter meinen Sitzkissen. Der Akku hat sich verabschiedet. Ich schließe das Telefon ans Stromnetz an und schalte es ein. Sofort blinken mir drei Anrufe in Abwesenheit von meinem Chef und eine Mailboxnachricht entgegen. Vielleicht hat Julia sich ja doch endlich gemeldet. Erste neue Sprachnachricht, Gestern 21:00 Uhr: Hi, Jessi, Jens hier. Ich war gestern bei dir, du warst aber nicht da. Hab so ’ne komische Nachbarin von dir getroffen, die irgendwas faselte, von wegen, du wärst verrückt geworden oder so. Total krass! Meld dich doch bitte mal, sonst muss ich mir vielleicht doch Sorgen machen, dass dir das hübsche Oberstübchen durchgebrannt ist … also meld dich bitte! Auch wegen der Wohnung, die ich immer noch suche!
    Ende der neuen Sprachnachrichten.

    Keine Nachricht von Caro, keine Nachricht von Simone und keine Nachricht von Julia. Ich bin schwer enttäuscht von den dreien, insbesondere von Julia, der ich mittlerweile bestimmt dreißig Nachrichten auf ihrem komischen Anrufbeantworter hinterlassen habe. Bei Jens muss ich mich unbedingt melden, sonst denkt der womöglich wirklich noch, dass ich völlig meschugge geworden bin. Aber was soll ich ihm sagen? Dass ich mittlerweile aussehe wie ein frisch erschüttertes Erdbebengebiet? Ich schreibe Jens eine SMS: Hi, Jens, das war wahrscheinlich Frau Raabe. Einsame alte Frau, die heute Morgen in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Mach dir keine Sorgen, bei mir alles total normal. Meld mich die Tage. LG Jessi
    Erstes Problem zumindest im Ansatz gelöst. Das nächste Problem ist die Krankmeldung. Ich kann unmöglich am Montag ins Büro gehen. Ich darf gar nicht daran denken, wie meine Kollegen auf mein Aussehen reagieren würden. Wahrscheinlich würden sich alle über das neue Gesicht der Firma totlachen. Christine würde sich auf jeden Fall ein Loch in den Bauch freuen, weil damit der Weg für sie zur Miss Interpool endgültig frei ist. Wenn ich mir vorstelle, dass ich jeden Morgen in Christines windschiefe Hackfresse gucken muss, die mich vom Plakat über der Eingangstür anlächelt, wird mir schlecht. Ich nehme das Telefon und wähle Rolands Nummer. Der brauch gar nicht denken, dass er aus der Sache raus ist!
    »Was willst du noch, Jessica?«, fragt er barsch.
    »Eine nettere Begrüßung wäre ein Anfang!«
    »Ich finde, es gibt keinen Grund mehr, nett zu dir zu sein.«
    »Eine Krankmeldung würde mir auch schon reichen. Ich kann unmöglich so ins Büro gehen.«
    »Vergiss es, Jessi. Wenn du nachts meine Garage beschmieren kannst, dann kannst du auch arbeiten. Ich wünsch dir was!«
    Bevor ich mich aufregen kann, hat Roland auch schon wieder aufgelegt. Das mit der Auflegerei wird langsam zu einer unangenehmen Modeerscheinung. Ich drücke die Wahlwiederholungstaste, es ist besetzt. Ich versuche es noch eine halbe Stunde lang, auch mit unterdrückter Nummer, aber es ist immer besetzt. In der Praxis scheitere ich an der Sprechstundenbohnenstange, die sich weigert, mich zu Roland durchzustellen.
    »Vielleicht sollte ich persönlich vorbeikommen!«, drohe ich ihr.
    »Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Ich werde Sie aber so oder so nicht zum Doktor lassen. Sie haben Praxisverbot.« Damit legt sie auf und liegt damit ebenfalls voll im Trend. Vor Wut trete ich gegen eine Aufbewahrungsbox, die auf dem Boden steht. Die Box fliegt zwei Meter weit und verteilt während des Fluges jede Menge Fotos auf dem Boden. Ich bücke mich und nehme eines der Bilder in die Hand und betrachte es genau. Es sind die Abzüge von den Fotos für die Miss-Interpool-Kampagne. Ich im Bademantel, lächelnd neben der »Quirlie 2000« in hundert verschiedenen Posen, immer lächelnd, immer total glücklich darüber, neben so einer sensationellen Badewanne stehen zu dürfen.
    Damals war ich so stolz darauf, fand mich unglaublich sexy und umwerfend. Jetzt sehe ich etwas anderes in den Fotos: eine geschminkte Schaufensterpuppe im Bademantel, die dümmlich und maskenhaft grinsend neben einer beschissenen Badewanne steht, als hätte sie gerade den Oscar gewonnen.
    Ich lege die Fotos beiseite, in der Hoffnung, dass es sich vielleicht nur um eine Wahrnehmungsstörung handelt. Ein paar Minuten später schaue ich sie mir

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