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Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Schmidt
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tiefergelegter Opel mit rotem Rallyestreifen legt eine satte Vollbremsung hin und kommt quietschend zum Stehen. Der Fahrer, der aussieht wie Meister Proper in unfreundlich, dreht die Fensterscheibe runter und brüllt aus seinem popeligen Auto raus:
    »Sach ma, wer hat dir denn ins Jehirn jeschissen?«
    »Das geht dich einen Scheißdreck an, du Arschkrampe!«, schreie ich zurück.
    »Arschkrampe? Hasse ma in Spiegel jekuckt, du Vojelscheuch?«
    Jetzt verliere ich den letzten Rest meiner Beherrschung. Wütend stampfe ich auf das Auto zu und trete voll gegen die Fahrertür. Die Delle bleibt. Ich renne, was das Zeug hält. Um mich zu verfolgen, muss Meister Proper aus dem Auto steigen und erst mal die Mülltonne wegräumen. In der Zeit biege ich in eine kleine Seitenstraße ein, die er nicht einsehen kann, biege noch mal ab und verschwinde in einem Bürohaus, aus dem gerade eine Frau kommt. Ich schließe mich etwa zwanzig Minuten ins Klo ein, gleichzeitig froh, diesem Asi entkommen zu sein und stocksauer, dass ich am Montag wieder zur Arbeit soll. Und während ich hier auf einem Klo hocke und mein Leben von Tag zu Tag mehr den Bach runtergeht, macht Dr.Roland Stümper einfach weiter, als ob nichts gewesen wäre. So darf der einfach nicht davon kommen. Ich muss was tun, und ich weiß auch schon was!

    An der nächsten Straßenecke gehe ich in ein Internetcafé, tippe die Adresse von »Interpool« in den Browser und blicke sofort in mein lächelndes und unversehrtes Gesicht. Ich suche eine Seite raus, auf der ich besonders gut zu erkennen bin, und drucke sie aus. Dann öffne ich Word und verfasse einen kurzen Text, den ich ebenfalls ausdrucke.
    Nachdem ich meine Zeit im Netz bezahlt habe, gehe ich zum nahe gelegenen Bahnhof und setze mich in einen Passfotoautomat. Ich wähle das größtmögliche Bild, ziehe Sonnenbrille, Mütze und Schal aus und reibe mir mit einem feuchten Erfrischungstuch das Camouflage aus dem Gesicht. Das 4711 brennt fürchterlich auf meiner entzündeten Haut, aber das kann ausnahmsweise mal hilfreich sein. Dann drücke ich auf das Knöpfchen, und zehn Sekunden später blitzt es viermal nacheinander. Ich versuche so leidend und unglücklich wie nur möglich zu gucken, was mir nicht schwerfällt und auch gelungen ist, wie ich sehen kann, als die vier Fotos aus dem Lüftungsschlitz des Automaten gleiten.
    Als nächstes gehe ich in den Copyshop, lege die beiden Bilder nebeneinander auf ein Blatt Papier, schreibe links »Vorher« und rechts »Nachher« über die Fotos und klebe sie fest. Der Unterschied auf den beiden Bildern ist wirklich erschreckend, ich bin mir noch nicht mal sicher, ob man erkennt, dass es sich auf beiden Bildern um ein und dieselbe Person handelt. Dann leihe ich mir eine Schere, schneide den Text, den ich geschrieben habe, aus und klebe ihn unter die beiden Bilder:
Dringende Patientenwarnung!
Was Sie auf den Fotos sehen, ist das Ergebnis einer fehlerhaften Behandlung durch Roland Schübel. Begeben Sie sich nicht in die Hände dieses Arztes, wenn Sie nicht auch so aussehen wollen, wie die Frau auf dem Foto. Der Mann ist gemeingefährlich!
 
ACHTUNG! Roland Schübel ist ein unfähiger Arzt!
ACHTUNG! Gehen Sie nicht zu diesem ArschStümper!
ACHTUNG! Wenn Ihnen Ihr Äußeres lieb ist, bleiben Sie diesem Arzt unbedingt fern!
    Ich muss zugeben, dass ich mit diesem Text wahrscheinlich nicht den Pulitzerpreis gewinnen würde, aber darum geht es jetzt auch nicht. Ich kopiere das Ganze 200-mal und mache mich auf den Weg zu Rolands Praxis. Dort stelle ich mich vor die Eingangstür. Als erstes drücke ich einer Passantin mittleren Alters meinen Zettel in die Hand. Die nimmt ihn, schaut kurz drauf und geht dann völlig ungerührt weiter. Ich beobachte, wie sie den Zettel ungelesen in einen Papierkorb wirft. Am liebsten würde ich ihr hinterherlaufen, ihr mein Gesicht direkt vor die Nase halten und sie dann fragen, ob ihr das Schicksal ihrer Mitmenschen wirklich so am Arsch vorbei geht. Die nächste Frau ist mindestens 80 Jahre alt, bleibt aber interessiert stehen.
    »Ist das die aktuelle Ausgabe der Straßengazette?«
    »Straßengazette?«, frage ich sie.
    »Ja, die Obdachlosenzeitschrift, die kauf ich doch immer. Ist das die September-Ausgabe?«
    Um nicht erneut zu randalieren, atme ich sehr tief ein und wieder aus und zähle innerlich bis fünf.
    »Nein, gute Frau, das ist nicht die Straßengazette! Das ist eine Aktion gegen einen schlechten Arzt.«
    »Na, dann geben Sie mal her.«
    Ich

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