Abgebrezelt
drücke ihr meinen Flyer in die Hand. Sie kramt daraufhin in ihrer Manteltasche, fischt einen Euro heraus und gibt ihn mir. Dann wackelt sie unsicher davon. Ich lasse mich aber nicht entmutigen. Im Gegenteil!
Ich verteile meine Zettel an alle, die nur in die Nähe der Praxis kommen, schiebe sie unter die Wischer von jedem Auto im Umkreis von 300 Metern. Als ich ein paar grölende FC-Fans an der Straßenbahnhaltestelle stehen, kommt mir eine Idee. Ich rase in den Kiosk auf der gegenüberliegenden Straßenseite und kaufe schnell einen Kasten Kölsch. Ich schleppe den Kasten zur Haltestelle, stelle ihn den Jungs vor die Füße, und überrede sie damit, mir einen kleinen Gefallen zu tun. Schon auf dem Weg zu Rolands Praxis brüllen die Fünf mit den roten FC-Schals lautstark »HALT DICH VOM SCHÜBEL FERN!« auf die Melodie von »Du hast die Haare schön«. Vor der Praxis machen sich die Jungs erst mal ein Bier auf, um dann noch lauter das komplette Viertel mit »HALT DICH VOM SCHÜBEL FERN, HALT DICH VOM SCHÜBEL FERN – HALT DICH; HALT DICH VOM SCHÜBEL FERN« zu beschallen. Ich bin total begeistert und mach mir zur Feier des Tages auch ein Bier auf. Es dauert nicht lang, bis Roland aus der Tür schießt. Sein Gesicht ist rot und wutverzerrt, und er hat einen meiner Flyer in der Hand.
»Jessica! Es reicht! Du verschwindest sofort von hier!«
Er fuchtelt mir mit dem Zettel vor dem Gesicht rum. Die Jungs machen einfach weiter: »HALT DICH VOM SCHÜBEL FERN, HALT DICH VOM SCHÜBEL FERN, HALT DICH VOM SCHÜBEL FERN«
»Das werde ich nicht tun, lieber Roland«, entgegne ich und bin dabei so ruhig wie ein umgekippter Waldsee im Morgengrauen. Ich entreiße Roland den Flyer wieder. Er versucht, mir daraufhin alle Zettel wegzunehmen, ich drehe mich aber rechtzeitig zur Seite, und er stolpert auf den Gehweg, was ein bisschen nach einer Slapstick-Einlage aussieht und mich zum Lachen bringt.
Meine Fußballjungs stellen sich schützend vor mich, klatschen und skandieren jetzt »ZIEHT DEM SCHÜBEL DEN WEISSEN KITTEL AUS! DEN WEISSEN KITTEL AUS! DEN WEISSEN KITTEL AUS!«
Als Roland sieht, dass er keine Chance gegen uns hat, stapft er wütend zurück zu seiner Praxis ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.
»DU KANNST NACH HAUSE GEHN! DU KANNST NACH HAUSE GEHN!«, untermalen die Jungs seinen Abgang und ich jubele! Als Roland verschwunden ist, verabschieden sich die fünf FC-Fans zu ihrem Spiel ins Stadion und wünschen mir noch viel Glück mit meiner Aktion. Ich verteile weiter fleißig Flyer an alle Passanten. Keine fünf Minuten später biegt die Polizei um die Ecke, was ich mir ja eigentlich hätte denken können. Ich sollte das Weite suchen, aber mir ist schnell klar, dass es dafür zu spät ist. Außerdem hab ich mein Fahndungsfoto ja gerade großzügig an die Kölner Bevölkerung verteilt, es hätte also absolut keinen Sinn, davonzulaufen, zumal der Wagen bereits vor meiner Nase angehalten hat. Eine junge Polizistin und ein vielleicht fünfzigjähriger Polizist mit Schnauzbart steigen aus und kommen direkt auf mich zu.
»So, guten Tag die Dame, können Sie uns mal bitte sagen, was Sie hier machen?«, fragt mich der Polizist.
»Ich kläre auf!«
»Aha! Und darf man fragen, wen Sie hier über was aufklären?« Er guckt mich an, als wäre ich nicht mehr ganz richtig im Kopf.
»Ich warne die Menschen vor einem völlig unfähigen Arzt!«
»Meinen Sie Dr.Schübel mit dem unfähigen Arzt? Der hat uns nämlich angerufen. Geben Sie mir doch mal bitte einen Ihrer Zettel, die Sie hier so großzügig verteilen.«
Ich gebe ihm den Zettel, er liest ihn sich in aller Ruhe durch.
»Sie wissen schon, dass das Verleumdung und damit verboten ist?«
»Wieso Verleumdung? Es entspricht alles den Tatsachen, und Tatsachen darf ich ja wohl weitergeben, oder?«
»Geben Sie mir doch mal bitte Ihren Ausweis.«
Ich fange an, in meiner Tasche zu kramen und fische meinen Ausweis nach gefühlten zehn Minuten aus einem Seitenfach. Der Polizist sieht ihn sich genau an und ruft dann seine Kollegin. Jetzt gucken sich die beiden gemeinsam den Ausweis an.
»Ähm, sind Sie sicher, dass das Ihr Ausweis ist?«, fragt mich jetzt die Polizistin.
»Natürlich ist das mein Ausweis!«
Die beiden Polizisten tauschen einen bedeutungsschweren Blick, und die Polizistin schüttelt ihren Kopf. »Tja, da wir nicht sicher sind, ob Sie das wirklich sind, müssen wir Sie leider mit auf die Wache nehmen, um Ihre Personalien zu überprüfen. Steigen Sie doch
Weitere Kostenlose Bücher