Abgebrezelt
bitte ein!«
»Aber das ist mein Personalausweis! Was gibt es da noch zu prüfen?«
»Nun ja, auf dem Bild sehen Sie ganz anders aus. Wir können Sie so nicht eindeutig zuordnen.«
»Ich seh anders aus?«, schreie ich ihn an, »was denken Sie denn, warum ich hier stehe? Ich stehe hier, weil ich nicht mehr so aussehe wie auf dem Foto! Weil ich, verdammt nochmal, nach einer Behandlung von Roland Schübel anders aussehe, Herr Superschlau!«
»Steigen Sie einfach ein, bitte!«
Die Polizistin öffnet die hintere Tür des Polizeiautos und wartet, dass ich mich auf den Rücksitz setze. Ich will aber nicht.
»Und dann wird man auch noch wie ein Schwerverbrecher abgeführt. Darf man in diesem Land nicht mal mehr die Wahrheit verbreiten«, krakeele ich. Ein paar Passanten sind mittlerweile stehen geblieben und beobachten die Szene.
»Die Wahrheit schon, aber manchmal gibt es eben unterschiedliche Wahrheiten, und da muss man erst mal rausfinden, welche die richtige ist. Dr.Schübels Wahrheit ist auf jeden Fall eine andere als Ihre. Und jetzt bitte!« Er deutet auf die immer noch offene Tür des Polizeiwagens.
In dem Moment kommt eine Frau vorbei, die in das Gebäude will, vor dem wir stehen. Ich drücke ihr natürlich sofort einen Flyer in die Hand. Der Polizist reißt ihn der Frau wieder aus der Hand.
»Entschuldigung, aber das ist Beweismaterial! Bitte gehen Sie weiter!« Mit diesen Worten schiebt er sie in den Hauseingang.
»Jetzt reicht es aber! Steigen Sie sofort ein!«, blafft er mich dafür an. Er reißt mir die restlichen Blätter aus der Hand, ich greife sofort wieder danach und reiße sie ihm meinerseits wieder aus der Hand! Die Polizistin kommt dazu und reißt meine Arme nach hinten. Die Flyer fallen zu Boden und verteilen sich auf dem Bürgersteig. Der Polizist flucht und versucht sie schnellstmöglich wieder einzusammeln, bevor der Wind meine Arbeit übernimmt und die Flyer im ganzen Viertel verteilt.
In diesem völlig bizarren Moment biegt ein Mann um die Ecke, ein Mann mit einem unverkennbaren Gang, leicht federnd in den Knien, mit einem leichten Ansatz zu O-Beinen: Es ist Jens, der da völlig ahnungslos auf uns zukommt. Wieso muss der ausgerechnet heute und um diese Uhrzeit hier rumlatschen? Es gibt eine Millionen Straßen in dieser Stadt, durch die man heute und um diese Uhrzeit laufen kann. Der liebe Gott muss im Moment wirklich richtig viel zu tun haben, wahrscheinlicher noch: Er hat mich einfach vergessen. Jens zögert, als er den kleinen Menschenauflauf bemerkt, geht dann aber weiter.
»Jetzt seien Sie doch vernünftig und steigen Sie in den Wagen, verdammt! Sie machen doch alles nur noch schlimmer!«
»Schon gut! Schon gut!«, sage ich schnell. »Ich bin vernünftig, sehr sogar! Ich steig ein!«
Jens ist in etwa auf unserer Höhe, als mich die Polizistin mit der Hand auf meinem Kopf in den Streifenwagen schiebt.
»Jessica?«, höre ich ihn plötzlich und leicht unsicher fragen. Gott sei Dank fällt in diesem Moment die Tür ins Schloss, und die getönten Scheiben schützen mich vor Jens’ Blicken. Die Polizistin lässt sich währenddessen auf den Beifahrersitz fallen. Sie dreht sich zu mir um: »Kennen Sie den Mann? Kann der vielleicht Ihre Personalien bestätigen?«
»Nie gesehen. Können wir jetzt bitte losfahren?«
FÜNFUNDZWANZIG Die Wache
»Kanzlei Westerhoff und Partner, Peter Subinsky mein Name. Was kann ich für Sie tun?«
»Jessica Kronbach hier. Kann ich bitte mal mit Caro sprechen?«
»Caro, äh, Frau Schüller ist im Moment in einer Besprechung. Ist es dringend?«
»Ja! Sehr!«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, verdammt!«, blaffe ich ihn an.
»Ich frage das nur, weil ich das letzte Mal Ärger bekommen habe, als ich Frau Schüller für Sie zum zweiten Mal aus der Sitzung geholt habe.«
»Dann seien Sie beruhigt, dieses Mal ist es noch viel dringender.«
»Hmmm … «
»Unfassbar dringend! Und wichtig noch dazu.«
Herr Subinsky tut mir jetzt zwar ein bisschen leid, worauf ich in meiner Situation aber leider keine Rücksicht nehmen kann.
»Also gut, einen Moment bitte.« Ich höre, wie er den Hörer neben den Apparat legt. Während ich auf Caro warte, wandert mein Blick über den grauen, fleckigen Teppich, die abgenutzten Schreibtische und die zerbeulten Aktenschränke aus Metall. Man könnte meinen, man hätte mich in eine Tatort -Kulisse aus den frühen Achtzigern und nicht in eine moderne Polizeiwache aus dem 21. Jahrhundert gesetzt. Mich würde nicht wundern, wenn
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