Abgebrezelt
erneut an, nur um festzustellen, dass ich mich noch schlimmer finde als vorher. Das soll ich gewesen sein? Unfassbar … Ich gehe in die Küche, nehme ein Feuerzeug und verbrenne die Fotos in der Spüle. Ich beobachte, wie sich das Papier langsam wellt und mein lächelndes Gesicht erst braun, dann schwarz wird und schließlich völlig auseinander fällt.
Nachdem ich alle Fotos so weit verbrannt habe, nehme ich die Reste, kippe sie in die Toilette und spüle mehrfach. Vielleicht treffen sie ja in der Kanalisation meine Post-its und freunden sich mit ihnen an! Danach fühle ich mich ein bisschen so, wie man sich fühlt, wenn man gerade gekotzt hat und das Gift, das die Übelkeit verursacht hat, endlich den Körper verlassen hat. Auch ein übler Nachgeschmack ist da. Ich sprühe mir eine Ladung Odol in den Mund und rufe dann in der Praxis von Dr.Heintze an, dem Chirurgen mit den Hirschen im Sprechzimmer, und sage der Sprechstundenhilfe, dass ich eine Krankmeldung brauche.
»Da müssen Sie schon vorbeikommen. Das muss der Doktor entscheiden.«
VIERUNDZWANZIG Die Vorher/Nachher-Show
Um Viertel nach zehn ruft mich die Sprechstundenhilfe ins Zimmer von Dr.Heintze. Der sitzt bereits an seinem riesigen Mahagonischreibtisch unter seinen fressenden Hirschen und Rehen und hackt mit einem Finger etwas in seinen PC, wobei er nach jedem Buchstaben den Blick von der Tastatur hebt und in den Bildschirm schaut. Ich trete vor den Schreibtisch, und er bemerkt erst jetzt, dass jemand ins Zimmer gekommen ist.
»Ach, guten Tag, Frau … «, er greift nach der Patientenakte, »ähhh, Frau Kronbach. Was kann ich für Sie tun?« Er schiebt die Tastatur zur Seite und legt stattdessen meine noch recht jungfräuliche Krankenakte vor sich.
»Ich brauche eine Verlängerung meiner Krankschreibung.«
Er liest in aller Ruhe in meiner Akte und schaut mir dann ins Gesicht.
»Ach ja, die Ptosis. Lassen Sie mal sehen.«
Er kommt um den Schreibtisch rum und betrachtet mein Gesicht eingehend.
»Na, das sieht doch schon wesentlich besser aus.«
Er schaut zufrieden, so als wäre das, was gar nicht vorhanden ist, auch noch sein persönlicher Verdienst.
»Was sieht denn da bitte besser aus?«
Ich bin ehrlich erstaunt und irritiert. Nichts hat sich verbessert, ich sehe definitiv noch genauso schlimm aus wie vor einer Woche – und als ob der noch genau wüsste, wie ich vor sieben Tagen aussah. Ich hätte die Fotos von meiner Lippe mitnehmen sollen.
»Na, ich würde sagen, die Ptosis ist leicht zurückgegangen, und auch die Auswirkungen der Nesselsucht sind meines Erachtens geringfügiger. Ich denke, Sie können so auf jeden Fall wieder zur Arbeit.«
»Wie bitte? Sie wollen mich so ins Büro schicken?«
Ich lasse vor Schreck meine Handtasche fallen, die auf meinem Schoß lag, und muss sie nun umständlich wieder unter dem Mahagonikoloss hervorholen. Dr.Heintze spricht ungerührt weiter: »Na ja, warum nicht. Das Ganze ist schließlich nicht ansteckend.«
Ich bin vollkommen entsetzt. Dieser Mann will mich tatsächlich ins Verderben rennen lassen. Als ich wieder unter dem Schreibtisch hervorkomme stoße ich mir meinen Kopf schmerzhaft an der Tischkante. Aber das interessiert Herrn Dr.Heintze auch nicht. Wahrscheinlich könnte ich hier vor seinen Augen blau anlaufen und elendig krepieren, und er würde mich trotzdem zur Arbeit schicken.
»Aber Herr Dr.Heintze! Es geht doch nicht darum, ob das ansteckend ist. Was glauben Sie, wie meine Kollegen reagieren, wenn die mich so sehen! Ich bin das Gesicht der Firma, das zurzeit aussieht wie eine Pizza. Die werden mich jahrelang aufziehen. Können Sie sich denn gar nicht in eine Frau versetzen, die nicht völlig verunstaltet ins Büro gehen will?« Ich schaue Dr.Heintze flehend an, und er scheint kurz nachzudenken.
»Nein. Das kann ich nicht, tut mir leid! Ich schreib Ihnen noch eine Salbe auf, damit keine Narben im Gesicht bleiben.«
Er nimmt seinen Rezeptblock, schreibt was drauf, reißt den Zettel ab und hält ihn mir hin.
»Alles Gute, Frau … ähh … Kronbach.«
Als ich vor der Praxis von Herrn Dr.Heintze auf der Straße stehe, verwandelt sich meine Sprachlosigkeit in unkontrollierte Wut. Ich trete gegen den Mülleimer, der an einer Laterne angebracht ist. Die alten und rostigen Klammern, die den Mülleimer an der Laterne gehalten haben, lösen sich und der Mülleimer fliegt in hohem Bogen auf die Straße, wo er leere Coladosen, Bierflaschen und einen halben Döner ausspuckt. Ein weißer und
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