Abgebrezelt
ich ihn ganz gut abdecken kann.
Keiner meiner Kollegen hat mich seit meiner Verschönerungsaktion gesehen, und so langsam macht sich Panik in mir breit. Aber ich habe mir geschworen, heute ins Büro zu gehen, egal wie ich aussehe, und bevor meine Panik die Oberhand gewinnt, verlasse ich das Haus. Ich wollte heute sowieso die erste bei Interpool sein.
Ohne Sonnenbrille, ohne Mütze und ohne Schal laufe ich zur Bahnhaltestelle. Heute wäre die Brille noch nicht mal aufgefallen. Die Sonne scheint, und ich genieße trotz meiner mittlerweile ungewohnten Gesichts-Nacktheit das warme Gefühl auf der Haut. Es ist das erste Mal seit zehn Tagen, dass ich mich in eine Straßenbahn traue. Ich nehme mir Christians Worte zu Herzen und versuche, selbstbewusst durch die Gegend zu laufen.
Die Bahn ist um diese Zeit natürlich voll und kein Platz mehr frei. Ich stehe im Gang und achte darauf, nicht stur auf den Boden zu blicken. Ein Mann im Trenchcoat und Anzug hängt neben mir an einem der grauen Haltegriffe, die an der Decke hängen. In der rechten hat er den Kölner Express , der titelt »Der hässliche Deutsche? Bundesbürger schneiden im europäischen Schönheits-Vergleich schlecht ab!« Na also, jetzt weiß ich endlich, was ich bin: typisch deutsch! Das erleichtert doch einiges. Der Mann schaut kurz von seiner Zeitung auf, guckt mich an und reagiert ganz normal. Ganz normal heißt, es gibt in seinem Gesicht keine Regung des Erschreckens oder des Entsetzens. Keine Reaktion ist für mich eine großartige Reaktion. Früher hätte ich mich darüber geärgert und stundenlang darüber nachgedacht, warum der mich nicht attraktiv findet; heute bin ich glücklich, wenn ich kein Mitleid und Ekel in den Gesichtern der Menschen sehe. Zeiten ändern sich.
»Soll ich Ihnen vielleicht einen Teil meiner Zeitung abgeben?«, fragt er mich plötzlich, und mir wird klar, dass ich ihn beziehungsweise den Express die ganze Zeit angestarrt habe. Ein paar weitere Leute gucken hoch, und ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht steigt.
»Ähhh, nein, entschuldigen Sie bitte, ich wollte nicht … «
»Ist doch nicht schlimm. Ich gebe Ihnen gerne was von meiner Zeitung ab«, sagt er freundlich, frickelt seine Zeitung auseinander und gibt mir den vorderen Teil. Ich nehme die Zeitung, dankbar, dass ich was habe, das ich mir unauffällig vors Gesicht halten kann. Nach ein paar Minuten hält die Bahn zwischen zwei Haltestellen, also da, wo sie normalerweise eigentlich nicht stehen bleibt. Es dauert fünf weitere Minuten, bis der kölsche Fahrer endlich eine Durchsage macht: »Sähr jeährte Fahrjäste, aufjrund eines Verkehrsunfalls zwischen Rudolfplatz un Neumaat verzögert sisch unsere Weiterfahrt um mährere Minuten. Wir bitten um Ihr Verständnis.«
Auch das noch. Ich schaue auf die Uhr: Mittlerweile ist es schon kurz nach acht. Damit ist mein Plan, früher als alle anderen im Büro zu sein, schon mal gestorben. Aber Hauptsache, ich komme nicht auch noch zu spät.
Ich komme zu spät! Als ich über den Interpool-Parkplatz Richtung Hauptgebäude laufe, ist der Parkplatz bereits fast voll. Meine Knie fangen immer stärker an zu zittern, je näher ich der Hauptpforte komme. Dort springt mir als erstes das riesige Plakat mit meinem lächelnden und makellosen Gesicht über dem Eingang ins matschige Auge. Mir rutscht augenblicklich das Herz in die Hose, und ich habe das Gefühl, dass mein gesamter Mut in der Straßenbahn geblieben und jetzt auf dem Weg nach Köln-Poll ist. Man wird sich über mich totlachen, keine Komplimente mehr von den Kollegen, nur mitleidige Blicke, Felix wird mir nicht mehr auf den Busen gucken oder nur noch, und Christine wird sich vor Schadenfreude ins teure Spitzenhöschen pinkeln. Fast hätte ich dem Reflex, einfach abzuhauen nachgegeben, aber die Angst, auch noch meinen Job zu verlieren, lässt mich weiter gehen. Ich würde es auf Dauer nicht überleben, jeden Tag mit Britt, Alexander Hold und Susan Akel zu verbringen.
Im Gebäude angekommen, ziehe ich schnell meinen Mitarbeiterausweis durch den dafür vorgesehenen Schlitz in der Stechuhr. Es kommt mir vor, als wäre ich unendlich lange weg gewesen, und ich atme intensiv den schalen, aber so vertrauten Geruch nach abgenutzten Büromöbeln, alten Teppichen und Kaffee ein. Es ist trotz allem ein bisschen wie nach Hause kommen.
Im Aufzug steigt in der ersten Etage Herr Schulte aus der Buchhaltung zu, und ich erstarre. Er sagt »Guten Morgen, Frau Kronbach!« und schaut
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